Hinweise zu den Verfassungsbestimmungen im Österreichischen Verfassungsrecht

Eine besondere, auch in Deutschland bis 1933/45 bekannte Form der Verfassungsgesetzgebung ist das verfassungsdurchbrechende oder -ergänzende Gesetz.

In Österreich gibt es neben dem Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), d. i. der Hauptteil des Verfassungsrechts Österreichs und wird genau so (mit Bindestrich) geschrieben; ursprüngliche Überschrift war "Gesetz, womit die Republik Österreich als Bundesstaat eingerichtet wird".

Daneben gibt es dann noch Bundesverfassungsgesetze, das sind Gesetze, die mit verfassungsändernder Mehrheit beschlossen wurden und die entweder das B-VG, frühere Bundesverfassungsgesetzes (kurz BVG) oder Verfassungsbestimmungen abändern. Solche BVGe gibt es auch für besondere Spezialnormen (wie z. B. die Entsendung von Blauhelmen unter dem Oberbefehl der UNO) und für eine dauerhafte Zuständigkeitsübertragung an den Bund als Ausnahme von der regulären Zuständigkeitsübertragung auf den Bund gemäß Art. 10 ff. B-VG. Diese Bundesverfassungsgesetze sind deutlich gekennzeichnet und sind jederzeit aus dem österreichischen Bundesgesetzblatt herauszufiltern.

Dann aber gibt es auch noch unzählige Verfassungsbestimmungen, das sind einzelne Abschnitte, Artikel, Paragrafen, Absätze oder Sätze in einem sonst regulären, einfachen Bundesgesetz, die allein durch die Voranstellung oder Anhängung des Wortes "Verfassungsbestimmung", meist in Klammer geschrieben und in den neueren Bundesgesetzblättern auch fett gedruckt, zu Verfassungsrecht werden und natürlich auch nur mit verfassungsändernder Mehrheit wieder verändert oder aufgehoben werden dürfen. In manchen Bundesgesetzen findet man eine solche Verfassungsbestimmung z. B.,
- wenn die Zuständigkeit zwischen Bund und Länder nicht eindeutig oder strittig ist, oder
- die Politik (die in Österreich ja zumeist durch einen Große Koalition mit entsprechenden verfassungsändernden Mehrheiten bekannt ist, außer seit 2008) die Bestimmungen vor dem Zugriff des Verfassungsgerichtshofes schützen will, oder
- wenn die beiden Großkoalitionäre es verhindern wollen, dass eine der Parteien, sollte sie alleine oder mit anderen zur Regierung gelangen, diese Bestimmung ohne ihre Zustimmung verändern können.
Diese Art Verfassungsgesetzgebung ist extrem unübersichtlich und die Verfassungsbestimmungen sind nur dadurch zu finden, dass das Bundesgesetzblatt, Seite für Seite durchgesehen wird, ob darin eine Verfassungsbestimmung zu finden ist (insbesondere in der I. Republik).

Durch die lange Zeit seit das Bundes-Verfassungsgesetz am 1.1.1930 wieder kundgemacht (in Deutschland würde man "neu bekannt gemacht" sagen) wurde, und die andauernde Verfassungsgesetzgebung durch Verfassungsbestimmungen (z. B. werden in letzter Zeit in einfachen Bundesgesetzen Verfassungsbestimmungen erlassen, welche das B-VG ändern, und nicht mehr BVG) macht das österreichische Verfassungsrecht extrem unübersichtlich.

Seit 2000 ist vermehrt zu vermerken, dass das Bundes-Verfassungsgesetz nicht mehr durch Bundesverfassungsgesetze, sondern durch Bundesgesetze als Verfassungsbestimmung geändert wird.

Eine weitere Variante ist, (z. B. BGBl. I 32/2009) dass ein Bundesverfassungsgesetz erlassen wird, in dem ein einfachgesetzliches Änderungsgesetz (als Art. 2) enthalten ist; hier muss das Sitzungsprotokoll des Nationalrates herhalten um zu prüfen, ob die Bestimmungen des Art. 2 (also Änderungen in einem einfachen Gesetz ohne Verfassungsbestimmungen) zu Verfassungsbestimmungen werden oder nicht (in diesem Fall nicht). Hier wäre es deutlicher gewesen, ein Bundesgesetz (anstatt eines BVG) zu erlassen, und den Art. 1, der die Änderungen des B-VG beinhaltet, als Verfassungsbestimmung zu bezeichnen.


Begriffsbestimmung:
- Ein durch ein Bundesverfassungsgesetz erlassener Rechtssatz ist stets eine Verfassungsbestimmung; d. h. wenn durch ein BVG einfachgesetzliche Bestimmungen geändert werden, wird daraus eine Verfassungsbestimmung (auch wenn nicht immer das Wort "Verfassungsbestimmung" vorangestellt wird. Deshalb gibt es in vereinzelt auch Bundesgesetze, die eine Verfassungsbestimmung beinhalten, obwohl diese nicht als "Verfassungsbestimmung" markiert ist !!!
- In einfachen Bundesgesetzen erlassene Rechtssätze werden nur dann zu einer Verfassungsbestimmung, wenn ausdrücklich vermerkt ist, dass dieser eine Verfassungsbestimmung ist.

Dagegen war es in Deutschland bis 1933 üblich, auch ohne einen solchen Hinweis Verfassungsbestimmungen zu erlassen. Es reichte dazu aus, dass der Reichstag den Rechtssatz mit der erforderlichen verfassungsändernden Mehrheit beschloss und diesen als Verfassungsbestimmung anerkannte. Selbst die Verkündungsformel musste nicht auf den verfassungsändernden oder -ergänzenden Inhalt hinweisen !!! Um dieser Unübersichtlichkeit des Verfassungsrechts vorzubeugen, hat sich der Parlamentarische Rat auf den Art. 79 des Grundgesetzes geeinigt, der besagt, dass die Verfassung (das Grundgesetz) nur durch Änderungen des Wortlautes des Grundgesetzes verändert werden kann.

 


© 16.10.2012


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