Verfassungsgesetz
vom 1. Mai 1945, St.G.Bl. 5/1945
über die vorläufige Einrichtung der Republik Österreich
(Vorläufige Verfassung)

geändert durch
Verfassungsgesetz vom 29. August 1945 über die Wiedererrichtung des selbständigen Landes Burgenland (St.G.Bl. 143/1945)
Verfassungsgesetz vom 12. Oktober 1945 über einige Abänderungen der Vorläufigen Verfassung (St.G.Bl. 196/1945)

faktisch aufgehoben durch
Verfassungsgesetz, StGBl. 232/1945,
mit Wirkung vom 19. Dezember 1945

Die Provisorische Staatsregierung hat beschlossen:

I. Abschnitt. Allgemeine Bestimmungen

§ 1. (1) Österreich wird wieder als eine demokratische Republik eingerichtet.

(2) Alle Rechtsvorschriften sind im Einklang mit den Grundsätzen der Staatsform einer demokratischen Republik zu gestalten und im Sinne dieser maßgebenden Grundsätze auszulegen.

§ 2. Die überlieferte Ländereinteilung bleibt die räumliche Grundlage. Alle nach dem 5. März 1933 erlassenen Bundesverfassungsgesetze, in einfachen Bundesgesetzen enthaltenen Verfassungsbestimmungen und verfassungsrechtliche Vorschriften enthaltenden Verordnungen sowie alle für den Bereich der Republik Österreich von der Deutschen Reichsregierung erlassenen Gesetze, Verordnungen und sonstigen Anordnungen verfassungsrechtlichen Inhaltes sind aufgehoben.

Durch Verfassungsgesetz vom 29. August 1945 wurde dem § 2 als zweiter Satz angefügt:
"Das Burgenland wird wieder als selbständiges Land der Republik errichtet."

Durch den § 2 wurden die Landesverfassungen der Länder Österreichs nach dem Stande der Gesetzgebung vom 4. März 1933 faktisch wieder in Kraft gesetzt. Einige Länder haben hierzu eigene Landesverfassungsgesetze erlassen, andere jedoch wieder, u. a.  wegen der Weigerung zur Bestätigung durch die  alliierten Besatzungsbehörden, konnten eine landesverfassungsgesetzliche Regelung nicht treffen, so dass auf diesen § 2 zurückgegriffen werden musste.

§ 3. (1) Die Grenzen zwischen den einzelnen Ländern bleiben unverändert.

(2) Im Interesse einer ungebrochenen Rechtsentwicklung wird jedoch bis zur endgültigen Erledigung der maßgebenden Fragen durch die künftige frei gewählte Volksvertretung verfügt:
1. die Grenzen zwischen Niederösterreich und Wien bleiben vorläufig nach dem Stande vom 10. April 1945 bestehen;
2. das Gebiet des ehemals selbständigen Landes Burgenland bleibt nach dem Stande vom 10. April 1945 vorläufig zwischen den Ländern Niederösterreich und Steiermark aufgeteilt.

Durch Verfassungsgesetz vom 29. August 1945 erhielt der § 3 Abs. 2 Punkt 2 folgende Fassung:
"2. Die Grenzen zwischen dem Land Niederösterreich und dem Burgenlande werden nach dem Stande vom 1. März 1938 wiederhergestellt; doch ist durch ein von der Provisorischen Staatsregierung zu bestätigendes Einvernehmen der beiden Länder eine Grenzberichtigung im einzelnen bis 1. Jänner 1946 vorzunehmen."

§ 4. (1) Die künftige frei gewählte Volksvertretung wird zu bestimmen haben, ob und wie weit die bundesstaatliche Organisationsform nach den Bestimmungen des Bundes-Verfassungsgesetzes in der Fassung von 1929 wieder in volle Geltung treten wird.

(2) Bis zu diesem Zeitpunkt muß die provisorische Staatsregierung im Hinblick auf die durch die gewaltsame Annexion Österreichs und die kriegerischen Ereignisse geschaffene besondere Lage die einheitliche Leitung der staatlichen Gesetzgebung und der obersten staatlichen Vollziehung für alle Teilbereiche des Staates für sich in Anspruch nehmen.

§ 5. (1) Für die Republik Österreich besteht vorläufig eine einheitliche Staatsbürgerschaft.

(2) Die Bedingungen für Erwerb und Verlust der Staatsbürgerschaft werden durch ein besonderes Gesetz geregelt.

§ 6. (1) Der Grundsatz der Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz wird in vollem Umfang wieder hergestellt.

(2) Vorrechte der Geburt, des Geschlechtes, des Standes, der Klasse und des Bekenntnisses sind ausgeschlossen.

II. Abschnitt. Staatsregierung.

§ 7. Bis zum Zusammentritt der auf Grund des allgemeinen, gleichen, unmittelbaren und geheimen Verhältniswahlrechtes neu bestellten Volksvertretung ist die Provisorische Staatsregierung das oberste Organ der Republik Österreich.

§ 8. Die Provisorische Staatsregierung besteht aus dem Staatskanzler und der erforderlichen Zahl von Staatssekretären und Unterstaatssekretären.

§ 9. (1) Der Staatskanzler führt den Vorsitz in der Provisorischen Staatsregierung. Er leitet die Staatskanzlei.

(2) Den Staatssekretären sind die Staatsämter unterstellt. Zur Unterstützung in der Geschäftsführung sind dem Staatskanzler und den Staatssekretären Unterstaatssekretäre beigegeben, die bei Führung ihres Amtes an die Weisungen des Staatskanzlers oder der Staatssekretäre gebunden sind.

§ 10. Zur selbständigen Beratung in allen politischen Fragen von grundsätzlicher Bedeutung sind dem Staatskanzler Staatssekretäre ohne Portefeuille beigegeben. Sie bilden mit dem Staatskanzler als dem Vorsitzenden den Politischen Kabinettsrat.

§ 11. (1) Der Staatskanzler wird in seinem gesamten Wirkungsbereich durch die Mitglieder des Politischen Kabinettsrates in der von ihm bestimmten Reihenfolge vertreten. Sind auch sämtliche Mitglieder des Politischen Kabinettsrates in der Führung ihres Amtes behindert, so führt der an Jahren älteste anwesende Staatssekretär die Geschäfte des Staatskanzlers.

(2) Die Staatssekretäre werden in ihrem gesamten Wirkungsbereich durch die ihnen beigegebenen Unterstaatssekretäre in der vom Politischen Kabinettsrat bestimmten Reihenfolge vertreten.

§ 12. (1) Scheiden sämtliche Mitglieder der Provisorischen Staatsregierung aus dem Amte, so haben die Vorstände der politischen Parteien, die an der Bildung der ersten Provisorischen Staatsregierung beteiligt waren, für die Bildung einer neuen Provisorischen Staatsregierung zu sorgen.

(2) Bis zur Bildung der neuen Provisorischen Staatsregierung betraut der aus dem Amte scheidende Politische Kabinettsrat Mitglieder der scheidenden Regierung oder höhere Beamte der Staatsämter mit der Fortführung der Verwaltung und einen von ihnen mit dem Vorsitz in der einstweiligen Staatsregierung.

§ 13. Die Bestimmungen des § 12 werden sinngemäß angewendet, wenn der Staatskanzler oder einzelne Mitglieder aus der Provisorischen Staatsregierung ausgeschieden sind.

§ 14. (1) Der Staatskanzler leistet vor Antritt seines Amtes vor der Provisorischen Staatsregierung die Angelobung.

(2) Die übrigen Mitglieder der Provisorischen Staatsregierung werden vor Antritt ihres Amtes vom Staatskanzler angelobt.

§ 15. (1) Die Mitglieder der Provisorischen Staatsregierung sind für ihre Amtsführung der künftigen frei gewählten Volksvertretung verantwortlich. Sie haben der Volksvertretung nach deren Zusammentritt unverzüglich einen Rechenschaftsbericht über ihre Tätigkeit zu erstatten.

(2) Die Volksvertretung regelt, in welcher Weise diese Verantwortung der Mitglieder der Provisorischen Staatsregierung geltend zu machen ist.

§ 16. Die Provisorische Staatsregierung kann einzelne ihrer Mitglieder vom Amte entheben, wenn sie ihre Amtspflichten verletzen.

§ 17. Die Provisorische Staatsregierung gibt sich ihre Geschäftsordnung durch Beschluß.

III. Abschnitt. Gesetzgebung.

Durch Verfassungsgesetz vom 12. Oktober 1945 wurde unmittelbar nach der Überschrift des III. Abschnitt die Überschrift

"a) Staatliche Gesetzgebung"
eingeschaltet.

§ 18. Bis zum Zusammentritt einer frei gewählten Volksvertretung übt die Provisorische Staatsregierung die nach dem Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 dem Bunde und den Ländern zustehende Gesetzgebung aus.

Durch Verfassungsgesetz vom 12. Oktober 1945 erhielt der § 18 folgende Fassung:
"§ 18. (1) Bis zum Zusammentritt des frei gewählten Nationalrates übt die Provisorische Staatsregierung die nach der Zuständigkeitsverteilung des Bundes-Verfassungsgesetzes in der Fassung von 1929 dem Bund zustehende Gesetzgebung und Grundsatzgesetzgebung aus.
(2) Die Provisorische Staatsregierung kann im zwingenden Bedarfsfall auch Angelegenheiten, die nach den Bestimmungen des Bundes-Verfassungsgesetzes in der Fassung von 1929 in die Zuständigkeit der Landesgesetzgebung fallen, der einheitlichen Regelung durch die staatlichen Gesetzgebung zuführen."

§ 19. Gesetzesvorschläge gelangen an die Provisorische Staatsregierung als Anträge der Staatsämter oder als Anträge einzelner Mitglieder der Provisorischen Staatsregierung.

§ 20. (1) Die Provisorische Staatsregierung zieht die Gesetzesvorschläge nach den Bestimmungen der Geschäftsordnung in Behandlung.

(2) Die Provisorische Staatsregierung kann zur Vorberatung der Gesetzesvorschläge aus ihrer Mitte Unterausschüsse bilden. Den Unterausschüssen können auch der Provisorischen Staatsregierung nicht Angehörende als Sachverständige mit beratender Stimme beigezogen werden.

§ 21. Die Gesetzesbeschlüsse der Provisorischen Staatsregierung werden vom Staatskanzler und von den übrigen Mitgliedern des Politischen Kabinettsrates beurkundet und von den zuständigen Staatssekretären gegengezeichnet. Verfassungsgesetze sind von sämtlichen Staatssekretären gegenzuzeichnen.

§ 22. (1) Die Gesetzesbeschlüsse werden vom Staatskanzler im Staatsgesetzblatt für die Republik Österreich kundgemacht.

(2) Die verbindende Kraft der Gesetze beginnt, wenn nicht ausdrücklich anderes bestimmt ist, nach Ablauf des Tages, an dem das Stück des Staatsgesetzblattes, das die Kundmachung enthält, ausgegeben und versendet wird, und erstreckt sich, wenn nicht ausdrücklich anderes bestimmt ist, auf das gesamte Staatsgebiet.

(3) Über das Staatsgesetzblatt ergeht ein besonderes Gesetz.

Durch Verfassungsgesetz vom 12. Oktober 1945 wurde nach dem § 22 folgendes eingeschaltet:

"b) Landesgesetzgebung.

§ 22a. Bis zum Zusammentritt der frei gewählten Landtage übt in jedem Land die Provisorische Landesregierung die den Ländern nach der Zuständigkeitsverteilung des Bundes-Verfassungsgesetzes in der Fassung von 1929 zustehende Gesetzgebung aus.

§ 22b. (1) Die Gesetzesbeschlüsse der Provisorischen Landesregierungen sind unmittelbar nach der Beschlußfassung vom Landeshauptmann der Staatskanzlei bekanntzugeben. Die Staatskanzlei hat den Gesetzesbeschluß unverzüglich der Provisorischen Staatsregierung vorzulegen.
(2) Die Gesetzesbeschlüsse dürfen nur kundgemacht werden, wenn die Provisorische Staatsregierung ihre Zustimmung erteilt, oder binnen vier Wochen nach Einlangen bei der Staatskanzlei keinen Einspruch erhebt.

§ 22c. Falls die Provisorische Staatsregierung dem Gesetzentwurf ausdrücklich zugestimmt oder innerhalb der vierwöchigen Frist keinen Einspruch dagegen erhoben hat, werden die Gesetzesbeschlüsse vom Landeshauptmann beurkundet, von den zuständigen Mitgliedern der Provisorischen Landesregierung gegengezeichnet und vom Landeshauptmann im Landesgesetzblatt kundgemacht.

§ 22d. Für die Stadt Wien übt der Stadtsenat die den Ländern zustehende Gesetzgebung aus. Die Aufgaben, die nach §§ 22a bis c dem Landeshauptmann zukommen, üben in Wien der Bürgermeister und die Mitglieder des Stadtsenates aus. Die Kundmachung der Gesetze erfolgt im Gesetzblatt der Stadt Wien."

IV. Abschnitt. Verwaltung.

a) Oberste staatliche Verwaltung.

§ 23. Die folgenden Aufgaben der obersten staatlichen Verwaltung sind dem Politischen Kabinettsrat vorbehalten:
a) die Vertretung der Republik nach außen;
b) die Ernennung der staatlichen Angestellten und die Verleihung von Amtstiteln und Berufstiteln an solche;
c) im Einzelfall: die Begnadigung der von den Gerichten rechtskräftig Verurteilten, die Milderung und Umwandlung der von den Gerichten ausgesprochenen Strafen, die Nachsicht von Rechtsfolgen und die Tilgung von Verurteilungen im Gnadenweg sowie die Niederschlagung des strafgerichtlichen Verfahrens bei den von Amts wegen zu verfolgenden strafbaren Handlungen;
d) nach den Bestimmungen besonderer Gesetze: Befugnisse hinsichtlich der Gewährung von außerordentlichen Zuwendungen, Zulagen und Versorgungsgenüssen, Ernennungs- oder Bestätigungsrechten und sonstige Befugnisse in Personalangelegenheiten.

Durch Verfassungsgesetz vom 12. Oktober 1945 wurde der § 23 wie folgt geändert:
- lit b) und c) erhielten folgende Fassung:
"b) Die Ernennung der Angestellten des Staates und die Verleihung von Amtstiteln an solche.
c) Die Schaffung und Verleihung von Berufstiteln;"
- die bisherigen lit. c) und d) erhielten die Bezeichnung d) und e)
- folgender lit. wurde angefügt:
"f) die Gewährung von Ehrenrechten nach den Bestimmungen besonderer Gesetze."

§ 24. (1) Staatsverträge politischen oder gesetzändernden Inhaltes dürfen vom Politischen Kabinettsrat nur nach Genehmigung durch die Provisorische Staatsregierung abgeschlossen werden.

(2) Zum Abschluß von Staatsverträgen, die nicht unter die Bestimmungen des Abs. (1) fallen, kann der Politische Kabinettsrat auch die zuständigen Staatsämter ermächtigen.

§ 25. Namens des Politischen Kabinettsrates empfängt und beglaubigt der Staatskanzler die Gesandten, genehmigt die Bestellung der fremden Konsuln und bestellt die konsularischen Vertreter der Republik im Auslande.

§ 26. Das Recht der Ernennung von Staatsangestellten bestimmter Kategorien kann der Politische Kabinettsrat den zuständigen Staatsämtern übertragen.

§ 27. Soweit die Aufgaben der obersten staatlichen Verwaltung nicht dem Politischen Kabinettsrat vorbehalten sind, obliegt ihre Führung der Provisorischen Staatsregierung.

§ 28. (1) Zur Besorgung der Geschäfte der obersten staatlichen Verwaltung sind die Staatsämter berufen.

(2) Die Zahl der Staatsämter und ihren Wirkungsbereich regelt ein Gesetz.

§ 29. Den Staatsämtern sind die übrigen staatlichen Verwaltungsbehörden unterstellt.

b) Verwaltung in den Ländern.

§ 30. (1) Die staatliche Verwaltung in den Ländern wird, soweit nicht staatliche Sonderbehörden eingerichtet sind, in Unterordnung unter die zuständigen Staatsämter in jedem Land durch den Landeshauptmann und seine Stellvertreter und die dem Landeshauptmann unterstellte Landeshauptmannschaft geführt.

(2) Der Landeshauptmann wird von der Provisorischen Staatsregierung auf Grund eines von den Vorständen der politischen Parteien des Landes erstatteten Vorschlages ernannt.

(3) Der Landeshauptmann ist der Provisorischen Staatsregierung für seine Amtsführung verantwortlich. Er kann von der Provisorischen Staatsregierung vom Amt enthoben werden, wenn er seine Amtspflichten verletzt.

(4) Die Bestimmungen der Abs. (2) und (3) gelten sinngemäß auch für die Stellvertreter des Landeshauptmanns.

(5) Zur Unterstützung des Landeshauptmanns bei Führung der Landeshauptmannschaft bestellt die Provisorische Staatsregierung auf Vorschlag des Landeshauptmanns einen rechtskundigen Verwaltungsbeamten des Amtes als Landesamtsdirektor. Der Landesamtsdirektor wird von der Provisorischen Staatsregierung vom Amt enthoben.

§ 31. (1)  Die Verwaltung der den Ländern als Selbstverwaltungskörpern nach der Überlieferung zustehenden wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Angelegenheiten obliegt in jedem Land einem Provisorischen Landesausschuß.

(2) Dem Provisorischen Landesausschuß gehören der Landeshauptmann und seine Stellvertreter und vier bis neun weitere Mitgliedes an, die der Landeshauptmann mit Zustimmung der Provisorischen Staatsregierung auf Grund der Vorschläge der Vorstände der politischen Parteien des Landes zu ihrem Amt beruft. Den Vorsitz im Provisorischen Landesausschuß führt der Landeshauptmann.

(3) Der Landeshauptmann kann Mitglieder des Provisorischen Landesausschusses von ihrem Amte entheben, wenn sie ihre Amtspflichten verletzen. Er muß die Enthebung verfügen, wenn dies die Provisorische Staatsregierung aus den gleichen Gründen verlangt.

Durch Verfassungsgesetz vom 12. Oktober 1945 wurde der § 31 wie folgt geändert:
- Absatz 1 erhielt folgende Fassung:
"(1) Die Verwaltung der Angelegenheiten, die nach der Zuständigkeitsverteilung des Bundes-Verfassungsgesetzes in der Fassung von 1929 in den selbständigen Wirkungsbereich der Länder fallen, übt in jedem Land eine Provisorische Landesregierung aus."
- im gesamten § wurde die Bezeichnung "Provisorischer Landesausschuß" ersetzt durch "Provisorische Landesregierung".

§ 32. (1) In Unterordnung unter die zuständige Landeshauptmannschaft wird die unterste staatliche Verwaltung in den Verwaltungsbezirken durch die Bezirkshauptmannschaften, in den Städten mit eigenem Statut durch die Bürgermeister geführt.

(2) Zur Leitung der Bezirkshauptmannschaften sind rechtskundige Verwaltungsbeamte zu berufen. Der Bezirkshauptmann wird vom Landeshauptmann mit Zustimmung der Provisorischen Staatsregierung ernannt und vom Landeshauptmann vom Amte enthoben. Der Landeshauptmann muß die Enthebung verfügen, wenn dies die Provisorische Staatsregierung verlangt.

(3)  Die Bürgermeister der Städte mit eigenem Statut werden vorläufig vom Landeshauptmann mit Zustimmung der Provisorischen Staatsregierung ernannt und vom Landeshauptmann von ihrem Amte enthoben. Der Landeshauptmann muß die Enthebung vom Amte verfügen, wenn es die Provisorische Staatsregierung verlangt.

§ 33. (1) Die Verwaltungsbezirke werden zur Besorgung der ihnen eigenen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Angelegenheiten als Selbstverwaltungskörper ausgestaltet.

(2) Zur Besorgung der den Verwaltungsbezirken in Selbstverwaltung überlassenen Angelegenheiten wird in jedem Verwaltungsbezirk eine Provisorische Bezirksvertretung errichtet. Die Provisorische Bezirksvertretung wählt aus ihrer Mitte einen Bezirksausschuß.

(3 Die näheren Bestimmungen über die Einrichtung der Provisorischen Bezirksvertretungen und Bezirksausschüsse werden durch besonderes Gesetz getroffen.

§ 34. Die nähere Einrichtung der Verwaltung in den Gemeinden und in den Städten mit eigenem Statut wird durch besondere Gesetze (Landgemeindeordnungen, Städteordnungen) geregelt.

c) Verwaltung in der Stadt Wien.

§ 35. Die Stadt Wien ist eine Gebietskörperschaft besonderen Rechtes. Sie vereinigt in sich die Wirkungskreise, die nach diesem Verfassungsgesetz einer Stadt mit eigenem Statut und einem Lande zukommen.

§ 36. (1) Die Aufgaben, die in den Ländern dem Landeshauptmann und seinen Stellvertretern, dem Provisorischen Landesausschuß, dem Landesamtsdirektor und der Landeshauptmannschaft zukommen, führen in Wien der Bürgermeister und seine Stellvertreter, der Stadtsenat, der Magistratsdirektor und der Wiener Magistrat.

(2) Für die Bestellung und Abberufung des Bürgermeisters und seiner Stellvertreter, der Mitglieder des Stadtsenates und des Magistratsdirektor gelten die §§ 30 und 31 entsprechend.

d) Grundsätze für die Führung der staatlichen Verwaltung.

§ 37. Die gesamte staatliche Verwaltung darf nur auf Grund der Gesetze ausgeübt werden.

§ 38. Jede Verwaltungsbehörde kann innerhalb ihres Wirkungsbereiches zur näheren Durchführung der Gesetze und überdies, soweit sie durch ein Gesetz hierzu ausdrücklich ermächtigt wird, Verordnungen erlassen.

V. Abschnitt. Gerichtsbarkeit.

§ 39. Die Urteile und Erkenntnisse der Gerichte werden im Namen der Republik Österreich verkündet und ausgefertigt.

§ 40. Die Richter sind in Ausübung ihres richterlichen Amtes unabhängig.

§ 41. (1) In der Gerichtsverfassung wird eine Altersgrenze bestimmt, nach deren Erreichung die Richter in den dauernden Ruhestand zu versetzen sind.

(2) im übrigen dürfen Richter nur in den vom Gesetz vorgeschriebenen Fällen und auf Grund eines gerichtlichen Erkenntnisses ihres Amtes entsetzt oder wider ihren Willen an eine andere Stelle oder in den Ruhestand versetzt werden.

(3) Ausnahmen von den Bestimmungen der Abs. (1) und (2) können bis 31. Dezember 1946 durch Gesetz festgelegt werden.

§ 42. Die Prüfung der Gültigkeit gehörig kundgemachter Gesetze steht den Gerichten nicht zu.

Durch Verfassungsgesetz vom 12. Oktober 1945 erhielt der § 42 folgende Fassung:
"§ 42. (1) Die Prüfung der Gültigkeit gehörig kundgemachter Gesetze steht den Gerichten nicht zu.
(2) Hat ein Gericht gegen die Anwendung einer Verordnung aus dem Grund der Gesetzwidrigkeit Bedenken, so hat es das Verfahren zu unterbrechen und den Antrag auf Aufhebung dieser Verordnung beim Verfassungsgerichtshof zu stellen.
(3) Ist die vom Gericht anzuwendende Verordnung bereits außer Kraft getreten, so hat der Antrag des Gerichtes die Entscheidung zu begehren, daß die Verordnung gesetzwidrig war.
(4) Ist die vom Gericht anzuwendende Verordnung durch ein Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes aus dem Grund der Gesetzwidrigkeit aufgehoben worden, so ist das Gericht, ohne den in Abs. 3 bezeichneten Antrag zu stellen, an die Rechtsanschauung des Verfassungsgerichtshofes gebunden."

§ 43. Die Mitwirkung des Volkes an der Rechtsprechung wird wieder hergestellt.

§ 44. Als oberste Instanz in Zivil- und Strafrechtssachen wird wieder ein Oberster Gerichtshof in Wien errichtet. Die nähere Einrichtung und den Aufgabenkreis des Obersten Gerichtshofes regelt ein besonderes Gesetz.

VI. Abschnitt. Rechnungskontrolle.

§ 45. Zur Prüfung der Gebarung des Staates, der Länder. der Gemeinden mit über 20.000 Einwohnern und ihrer Betriebe und Anstalten sowie anderer Rechtsträger wird der Staatsrechnungshof in Wien errichtet.

§ 46. Die näheren Bestimmungen über die Einrichtung und die Tätigkeit des Staatsrechnungshofes werden durch Gesetz getroffen.

VII. Abschnitt. Verwaltungsgerichtshof.

§ 47. Zur: Prüfung der Gesetzmäßigkeit von Bescheiden (Entscheidungen oder Verfügungen) der Verwaltungsbehörden wird der Verwaltungsgerichtshof in Wien errichtet.

§ 48. Die nähere Einrichtung, den Aufgabenkreis und das Verfahren des Verwaltungsgerichtshofes regelt ein besonderes Gesetz.

Durch Verfassungsgesetz vom 12. Oktober 1945 wurde nach dem § 48 folgendes eingeschaltet:

"VIII. Verfassungsgerichtshof.

§ 48a. Zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Gesetzgebung und der Verwaltung nach Artikel 137 bis 144 des Bundes-Verfassungsgesetzes in der Fassung von 1929 wird der Verfassungsgerichtshof in Wien errichtet.

§ 48b. Die nähere Einrichtung und das Verfahren des Verfassungsgerichtshofes regelt ein besonderes Gesetz."

VIII. Abschnitt. Schlußbestimmungen.

Eine Umnummerierung des VIII. Abschnitts in "IX. Abschnitt" ist nicht erfolgt.

§ 49. Dieses Verfassungsgesetz tritt am 1. Mai 1945 in Kraft.

§ 50. Mit der Vollziehung dieses Verfassungsgesetzes ist die Provisorische Staatsregierung betraut.

Renner

Schärf
Figl
Koplenig

Honner
Fischer
Gerö
Zimmermann
Buchinger
Heinl
Korp
Böhm
Raab
 


Quellen: Fischer / Silvestri, Texte zur österreichischen Verfassungs-Geschichte, Geyer-Edition 1970
© 23. Dezember  2001 - 1. Oktober 2012
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