Abkommen über die Alliierte Kontrolle in Österreich
vom vom 4. Juli 1945

(Erstes Kontrollabkommen)

Die Regierungen des Vereinigten Königreiches von Großbritannien und Nordirland, der Vereinigten Staaten von Amerika und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken und der Provisorischen Regierung der Französischen Republik haben

Im Hinblick auf die am 1. November 1943 im Namen der Regierungen des Vereinigten Königreiches, der Vereinigten Staaten von Amerika und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken in Moskau veröffentlichten Erklärung, mit welcher diese drei   Regierungen mitgeteilt haben, daß sie bezüglich der Notwendigkeit, Österreich von der deutschen Herrschaft zu befreien, übereingekommen waren und daß sie die Wiedererstehung eines freien und unabhängigen Österreichs wünschten,

Im Hinblick auf die später vom Französischen Nationalen Befreiungskomitee in Algier am 16. November 1943 abgegebenen Erklärung, betreffend die Unabhängigkeit Österreichs,

Folgendes Abkommen geschlossen, betreffend das Alliierte Kontrollsystem, das in Österreich bis zur Errichtung einer frei gewählten, von den vier Mächten anerkannten österreichischen Regierung funktionieren wird:

Artikel 1. Das Alliierte Kontrollsystem in Österreich besteht aus einem Alliierten Rat, einem Exekutiv-Komitee und ihren von den vier beteiligten Regierungen ernannten Stäben, eine Organisation, die in ihrer Gesamtheit als "Alliierte Kommission für Österreich" bezeichnet wird.

Artikel 2. a) Der Alliierte Rat setzt sich aus vier, jeweils von jeder der beteiligten Regierungen ernannten militärischen Kommissaren zusammen. Außer ihren Funktionen als Mitglieder des Alliierten Rates haben die militärischen Kommissare, jeder für sich, das Oberkommando der von ihrer betreffenden Regierung zur Verfügung gestellten Besatzungsstreitkräfte für Österreich.

Die oberste Gewalt in Österreich wird für die Fragen, die Österreich in seiner Gesamtheit betreffen, von den militärischen Kommissaren in ihrer Eigenschaft als Mitglieder des Alliierten Rates gemäß den von ihren entsprechenden Regierungen erhaltenen Weisungen ausgeübt. Mit diesem Vorbehalt übt jeder militärische Kommissar als Oberstkommandierender der von seiner Regierung zur Verfügung gestellten Besatzungsstreitkräfte die höchste Gewalt in der von diesen Streitkräften besetzten Zone aus. Jeder Oberstkommandierende hat in seiner Besatzungszone Vertreter der Land-, See- und Luftstreitkräfte der anderen Oberstkommandierenden der Besatzungstruppen in Österreich zu Verbindungszwecken neben sich.

b) Der Alliierte Rat tritt wenigstens einmal innerhalb von zehn Tagen zusammen; außerdem tritt er auf Verlangen eines seiner Mitglieder zu jedem Zeitpunkt zusammen. Die Beschlüsse des Rates werden einstimmig gefaßt. Der Vorsitz des Alliierten Rates wird turnusweise von jedem der vier Mitglieder ausgeübt.

c) Jeder militärische Kommissar wird von einem politischen Berater unterstützt, der an den Sitzungen des Rates jedesmal, wenn es notwendig ist, teilnimmt.

Artikel 3. Das Exekutiv-Komitee besteht aus einem einen hohen Dienstrang bekleidenden Vertreter jedes der vier Kommissare. Die Mitglieder des Exekutiv-Komitees nehmen an den Sitzungen des Alliierten Rates teil, wenn dies notwendig ist.

Artikel 4. a) Die von den betreffenden staatlichen Stellen ernannten Stäbe der Alliierten Kommission in Wien gliedern sich in folgendermaßen bezeichnete Abteilungen („Divisionen“):
Militärische Angelegenheiten; Marine-Angelegenheiten; Luftfahrt-Angelegenheiten; Wirtschaft; Finanzwesen; Reparationen; Übergaben und Wiedergutmachungen; Inneres; Arbeit; Rechtsfragen; Kriegsgefangene und Versetzte Personen; Politik; und Transport.

In der Zahl und in den Befugnissen der Abteilungen können auf Grund der Erfahrungen Änderungen vorgenommen werden.

b) An der Spitze jeder Abteilung stehen vier Funktionäre, einer von jeder Macht. Die Leiter der Abteilungen nehmen an den Sitzungen des Exekutiv-Komitees teil, deren Tagesordnung Angelegenheiten umfaßt, welche die Arbeit ihrer Abteilungen berührt.

c) Die Stäbe der Abteilungen können Zivil- sowie Militär-Personen umfassen. Desgleichen können sie in besonderen Fällen persönlich ernannte Staatsangehörige anderer Vereinter Nationen umfassen.

Artikel 5. Der Alliierte Rat:
a) ‚Setzt auf Grund der Weisungen, die jeder Kommissar von seiner Regierung erhält, die Pläne hinsichtlich der wichtigsten, militärischen, politischen, wirtschaftlichen und anderen Fragen fest, die Österreich in seiner Gesamtheit betreffen und faßt hierüber Beschlüsse;
b) Gewährleistet eine angemessene Einheitlichkeit des Vorgehens in den Besatzungszonen.

Artikel 6. Das im Namen des Alliierten Rates handelnde Exekutiv-Komitee:
a) Gewährleistet die Durchführung der Beschlüsse des Alliierten Rates mittels der betreffenden Abteilungen der Alliierten Kommission, die in Artikel 4 angeführt sind
b) Koordiniert die Tätigkeit der Abteilungen der Alliierten Kommission, prüft alle Fragen, die ihm vom Alliierten Rat überwiesen werden, und bereitet deren Lösung vor.

Artikel 7. Die Abteilungen der Alliierten Kommission:
a) Erstatten dem Alliierten Rat und dem Exekutiv-Komitee Gutachten.
b) Führen die Beschlüsse des Alliierten Rates durch, die ihnen vom Exekutiv-Komitee überwiesen werden.

Artikel 8. Die vornehmlichsten Aufgaben der Alliierten Kommission für Österreich sind:
a) Die Einhaltung der Bedingungen der Erklärung über die Niederlage Deutschlands, die am 5. Juni 1945 in Berlin unterzeichnet wurde, in Österreich zu sichern;
b) Die Trennung Österreichs von Deutschland zu verwirklichen;
c) So bald als möglich eine österreichische Zentralverwaltung zu errichten,
d) Die Errichtung einer frei gewählten österreichischen Regierung vorzubereiten;
e) In der Zwischenzeit die geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, um die Verwaltung Österreichs in hinreichender Weise sicherzustellen.

Artikel 9. Während des Zeitraumes vor der Errichtung der Ämter einer österreichischen Zentralverwaltung, der so kurz als möglich sein soll, wird die Durchführung der Beschlüsse der Alliierten Kommission, soweit sie ein Vorgehen in den verschiedenen Zonen erfordern, von den Besatzungsbehörden durchgeführt. Jeder militärische Kommissar gibt in seiner Eigenschaft als Oberstkommandierender auf Grund der Beschlüsse des Alliierten Rates diesen Behörden die notwendigen Weisungen.

Artikel 10. So bald die Ämter einer österreichischen Zentralverwaltung in der Lage sind, in hinreichender Weise tätig zu werden, wird ihnen die Ausübung ihrer jeweiligen Funktionen hinsichtlich der Gesamtheit Österreichs übertragen; die Alliierte Kommission wird in der Folge ihre Aufgaben mittels dieser Ämter erfüllen. Es steht dann den Abteilungen der Alliierten Kommission zu, die Tätigkeit der verschiedenen Ämter zu überwachen und ihnen die Beschlüsse des Alliierten Rates und des Exekutiv-Komitees zu übermitteln.

Artikel 11. a) Es wird eine Alliierte Kommandantur (Komendatura) errichtet, die aus vier von ihren betreffenden Kommissaren ernannten Kommandanten, einem für jede Macht, besteht, um die Verwaltung der Stadt Wien gemeinsam zu leiten. Jeder der Kommandanten hat in seiner Eigenschaft als Oberstkommandierender turnusweise den Vorsitz in diesem Organ.

b) Ein fachlicher Stab, der Angehörige jeder der vier Mächte umfaßt, wird unter die Autorität der Alliierten Kommandantur gestellt und zur Überwachung und Kontrolle der Tätigkeit der Organe der Stadt Wien eingerichtet, die die Gemeindedienste wahrzunehmen haben.

c) Die Alliierte Kommandantur wird unter der allgemeinen Leitung des Alliierten Rates tätig und erhält Weisungen im Wege des Exekutiv-Komitees.

Artikel 12. Die notwendige Verbindung mit den Regierungen der anderen vornehmlich interessierten Vereinten Nationen wird durch Militär-Missionen sichergestellt, welche diese Regierungen beim Alliierten Rat errichten (und die auch zivile Mitglieder umfassen können).

Artikel 13. Die Organisationen der Vereinten Nationen, die der Alliierte Rat zu einer Tätigkeit in Österreich ermächtigen kann, werden, was ihre Tätigkeit in diesem Lande anlangt, der Alliierten Kommission unterstellt und sind ihr verantwortlich.

Artikel 14. Ein eigenes Abkommen zwischen den vier Mächten setzt die Art und den Umfang der Weisungen und Ratschläge fest, welche die Alliierten Österreich nach der Errichtung einer frei gewählten und von den vier Mächten anerkannten österreichischen Regierung geben müssen.

Lancaster House, London S. W. 1, am 4. Juli 1945.

Der Vertreter der Regierung der Vereinigten Staaten in der Europäischen Beratungskommission:
John G. Winant

Der Vertreter der Regierung des Vereinigten Königreiches in der Europäischen Beratungskommission:
Ronald I. Campbell

Der Vertreter der Provisorischen Regierung der Französischen Republik in der Europäischen Beratungskommission:
R. Massigli

Der Vertreter der Regierung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken in der Europäischen Beratungskommission:
F. Gusew

Das Erste Kontrollabkommen hat, ähnlich dem Abkommen über Kontrolleinrichtungen in Deutschland vom 14. November 1944, einen Alliierten Rat als österreichische Zentralbehörde (Regierung und Gesetzgebung) errichtet (erstmals am 11. September 1945 zusammengetreten). Anders als in Deutschland war jedoch in der Sowjetischen Besatzungszone in Österreich am 27. April 1945 die Provisorische Regierung Österreichs aus Vertretern der drei Parteien Österreichische Volkspartei (ÖVP, aus den Christsozialen hervorgegangen), Sozialdemokratische Partei Österreichs (SPÖ) und Kommunistische Partei Österreichs (KPÖ) gebildet worden, die auch von der Sowjetunion anerkannt war, nicht aber von den anderen drei Besatzungsmächten. Die Anerkennung als Regierung Österreichs erfolgte durch Memorandum des Alliierten Rates vom 20. Oktober 1945. Das vorstehende Abkommen wurde durch das Zweite Kontrollabkommen  vom 28. Juni 1946 ersetzt.

Die Europäische Beratungskommission, die das Abkommen im Namen der Vier Mächte schloß, wurde auf der Moskauer Konferenz vom 19.-30. Oktober 1943 mit Sitz in London errichtet, um gemeinsame Empfehlungen an die Regierungen auszuarbeiten. Aus dieser Kommission stammen die meisten alliierten Abkommen hinsichtlich Deutschlands und Österreichs; sie wurde auf der Potsdamer Konferenz am 2. August 1945 aufgelöst.
 


Quellen: Fischer / Silvestri, Texte zur österreichischen Verfassungs-Geschichte, Geyer-Edition 1970
© 24. November  2002
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