Gesetz
vom 10. Juli 1945
über das neuerliche Wirksamwerden der Verfassung der Stadt Wien in der Fassung von 1931
(Wiener Verfassungs-Überleitungsgesetz - WV-ÜG)

Die Provisorische Staatsregierung hat beschlossen:

Artikel I. Die Verfassung der Stadt Wien in der Fassung von 1931 wird wieder in Wirksamkeit gesetzt.

Artikel II. Alle nach dem 5. März 1933 bis zur Befreiung Österreichs für den Bereich der Stadt Wien erlassenen Gesetze, Verordnungen, Satzungen und sonstigen Anordnungen verfassungsrechtlichen Inhalts mit Ausnahme jener, die den Gebietsumfang und die Einteilung in Bezirke zum Gegenstand haben, sind aufgehoben.

Artikel III. Aufgehoben sind daher insbesondere:
1. die Verordnung der Bundesregierung vom 12. Februar 1934, B. G. Bl. Nr. 77, über die Bestellung eines Bundeskommissärs für die Bundeshauptstadt Wien und dessen Aufgaben;
2. die Verordnung des Bundeskommissärs für Wien vom 31. März 1934, L. G. Bl. f. Wien, Nr. 20, womit einstweilige Anordnungen für die Besorgung der Aufgaben der Bundeshauptstadt Wien getroffen werden (Stadtordnung der Bundeshauptstadt Wien);
3. die Verordnung der Bundesregierung vom 6. April 1934, B. G. Bl. Nr. 213, betreffend die Übertragung der Aufgaben des Bundeskommissärs für Wien;
4. die Verordnung des Bürgermeisters vom 30. Oktober 1934, L. G. Bl. f. Wien Nr. 53, betreffend die Abänderung der Stadtordnung der Bundeshauptstadt Wien;
5. die Hauptsatzung des Reichsgaues vom 6. November 1942, Verordnungs- und Amtsblatt für den Reichsgau Wien Nr. 154;
6. die Satzung über den Aufbau der Behörde des Reichsstatthalters in Wien - Gemeindeverwaltung vom 6. November 1942, Verordnungs- und Amtsblatt für den Reichsgau Wien Nr. 155.

Artikel IV. An die Stelle der Bestimmungen der Verfassung der Stadt Wien in der Fassung von 1931, die infolge der politischen Ereignisse bis auf weiteres tatsächlich undurchführbar geworden sind, treten einstweilen folgende Bestimmungen:

§ 1. Die Stadt Wien ist eine Gebietskörperschaft des besonderen Rechts. Sie vereinigt in sich die Wirkungskreise, die nach dem Verfassungsgesetz vom 1. Mai 1945, St. G. Bl. Nr. 5, über die vorläufige Einrichtung der Republik Österreich (Vorläufige Verfassung), einer Stadt mit eigenem Statut und einem Lande zukommen.

§ 2. (Zu §§ 1 und 2 der Verfassung.). Der Gebietsumfang der Stadt Wien und die Einteilung in Bezirke bestimmen sich nach dem Stande vom 10. April 1945.

dadurch blieben die Gebietsänderungen, die durch Reichsgesetz von 1938 hinsichtlich Wiens vorläufig bestehen; erst durch Bundesverfassungsgesetz vom 26. Juli 1946, BGBl. 110/1954, wurde der Gebietsumfang der Stadt Wien von 1937 (mit kleineren Änderungen) mit Wirkung vom 1. September 1954 wieder hergestellt.

§ 3. (Zu § 10 der Verfassung.). Zur Verwaltung der Stadt Wien sind nachfolgende Organe berufen:
1. der Bürgermeister,
2. der Stadtsenat und die einzelnen amtsführenden Stadträte,
3. die Bezirksvorsteher und ihre Stellvertreter,
4. der Magistrat.

Als Kontrollorgan der Stadt Wien besteht das Kontrollamt.

§ 4. (Zu § 33 der Verfassung.). (1) Der Bürgermeister wird von der Provisorischen Staatsregierung auf Grund eines von den Vorständen der politischen Parteien der Stadt Wien erstatteten Vorschlages ernannt.

(2) Der Bürgermeister ist der Provisorischen Staatsregierung für seine Amtsführung im staatlichen Wirkungskreis verantwortlich. Er kann von der Provisorischen Staatsregierung vom Amt enthoben werden, wenn er seine Amtspflichten verletzt.

(3) Der Bürgermeister wird durch die Vizebürgermeister in der von ihm bestimmten Reihenfolge vertreten. Die Bestimmungen der Abs. (1) und (2) gelten sinngemäß auch für die Stellvertreter des Bürgermeisters.

§ 5. (Zu §§ 36, 38 und 40 der Verfassung.). (1) Der Stadtsenat besteht aus dem Bürgermeister, den Vizebürgermeistern und aus Stadträten, die der Bürgermeister mit Zustimmung der Provisorischen Staatsregierung auf Grund der Vorschläge der politischen Parteien der Stadt Wien zu ihrem Amt berufen.

(2) Den Vorsitz im Stadtsenat führt der Bürgermeister oder sein Stellvertreter [§ 4, Abs. (3)], im Falle ihrer Verhinderung der vom Stadtsenat berufene Stadtrat.

(3) Der Bürgermeister beruft auf Vorschlag des Stadtsenates für jede Verwaltungsgruppe ein Mitglied des Stadtsenates, das hinsichtlich des selbständigen Wirkungskreises die Geschäftsgruppe des Magistrats zu leiten hat und dem in dieser Eigenschaft der Titel "amtsführender Stadtrat" zukommt.

(4) Bei vorübergehender Verhinderung eines amtsführenden Stadtrates betraut der Bürgermeister einen anderen amtsführenden Stadtrat mit der Vertretung.

(5) Der Bürgermeister kann Stadträte von ihrem Amte entheben, wenn sie ihre Amtspflichten verletzten. Er muß die Enthebung verfügen, wenn dies die Provisorische Staatsregierung aus dem gleichen Grunde verlangt.

§ 6. (Zu. § 63 der Verfassung.). (1) Die Bezirksvorsteher und ihre Stellvertreter werden vom Bürgermeister auf Vorschlag des Stadtsenates berufen.

(2) Der Bürgermeister kann Bezirksvorsteher und ihre Stellvertreter von ihrem Amte entheben, wenn sie ihre Amtspflichten verletzten. Er muß die Enthebung verfügen, wenn dies der Stadtsenat aus dem gleichen Grunde verlangt.

§ 7. (Zu § 69 der Verfassung.). (1) Der Magistrat besteht aus dem Bürgermeister, den amtsführenden Stadträten, dem Magistratsdirektor und der entsprechenden Anzahl von Beamten sowie dem erforderlichen Hilfspersonal.

(2) Der Magistratsdirektor wird von der Provisorischen Staatsregierung auf Vorschlag des Bürgermeisters bestellt. Er muß ein rechtskundiger Verwaltungsbeamter des Magistrates sein.

(3) Der Magistratsdirektor kann von der Provisorischen Staatsregierung vom Amte enthoben werden.

§ 8. (Zu § 73 der Verfassung.). (1) Das Kontrollamt ist vom Magistrat unabhängig.

(2) Der Direktor des Kontrollamtes wird auf Vorschlag des Bürgermeisters vom Stadtsenat auf unbestimmte Zeit bestellt. Er kann nur durch Beschluß des Stadtsenates abberufen werden.

§ 9. (Zu § 80 der Verfassung.). Der selbständige Wirkungskreis der Stadt Wien wird vom Stadtsenat, von den amtsführenden Stadträten und den Bezirksvorstehern, der selbständige und der staatliche Wirkungskreis, letzterer in Unterordnung unter die zuständigen Staatsämter, werden vom Bürgermeister mit dem Magistrat und den Magistratischen Bezirksämtern ausgeübt.

§ 10. (Zu §§ 81 bis 90, 101 bis 103 der Verfassung.). Der Stadtsenat ist außer den durch die Verfassung der Stadt Wien in der Fassung von 1931 ihm vorbehaltenen Angelegenheiten auch für alle jene Angelegenheiten des selbständigen Wirkungskreises zuständig, die hienach dem Gemeinderat und den Gemeinderatsausschüssen zugewiesen sind.

§ 11. (Zu §§ 119, 142, 143 der Verfassung.). Die Bestimmungen über die Landesgesetzgebung, über die Vertretung der Stadt Wien im Bundesrat und über die Landesbürgerschaft finden vorläufig keine Anwendung.

entgegen den Aufhebungsbestimmungen des Artikels VI,  Abs. 2, sind die Bestimmungen des Art. IV (außer § 2) bereits mit dem Zusammentritt des Nationalrates und des Wiener Gemeinderates am 19. Dezember 1945 außer  Kraft getreten.

Artikel V. An Stelle der in Schilling ausgedrückten Geldbeträge treten an allen Stellen der Verfassung der Stadt Wien in der Fassung von 1931 gleich hohe Geldbeträge in Reichsmark.

mit dem Gesetz vom 30.. November 1945, BGBl. 231/1945 (Schillinggesetz), wurde der Art. V faktisch gegenstandslos; die Reichsmarkbeträge wurden mit Wirkung vom 21. Dezember 1945 1:1 in Schillingbeträge umgewandelt.

Artikel VI. (1) Dieses Gesetz tritt, sofern seine Bestimmungen auf Grund der seit der Befreiung Österreichs erlassenen verfassungsrechtlichen Vorschriften nicht schon zu einem früheren Zeitpunkte an anwendbar sind, am 15. Juli 1945 in Kraft.

(2) Die Bestimmungen des Artikels IV treten sechs Monate nach dem Zusammentritt der ersten auf Grund des allgemeinen, gleichen, unmittelbaren und geheimen Verhältniswahlrechts gewählten Vertretung der Stadt Wien außer Kraft.

Artikel VII. Mit der Vollziehung dieses Gesetzes ist die Provisorische Staatsregierung betraut.

Renner

Schärf            Figl            Koplenig

Honner               Fischer                Gerö                Zimmermann
Buchinger            Heinl            Korp            Böhm            Raab

 


Quellen: Staatsgesetzblatt für die Republik Österreich, Jahrgang 1945 Nr. 67
Adamovich, Landesverfassungsgesetze und Landtagswahlordnungen, 2. Aufl. Wien 1950
© 1. August 2006
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