Kaiserliches Patent vom 4. März 1849, die

Reichsverfassung für das Kaiserthum Oesterreich
enthalten

aufgehoben durch
das Kaiserliche Patent vom 31. Dezember 1851,

womit die Verfassungs-Urkunde vom 4. März 1849, Nr. 150 des R. G. B., außer Gesetzeskraft erklärt, jedoch die Gleichheit aller Staats-Angehörigen vor dem Gesetze, sowie die Unzulässigkeit und die Abstellung jedes bäuerlichen Unterthänigkeits- oder Hörigkeits-Verbandes und der damit verbundenen Leistungen ausdrücklich bestätiget, ferner für die zunäcshst wichtigsten udn dringendsten Richtungen der organischen gesetzgebung eine Reihe von Grundsätzen festgestellt bis zur Kundmachung der hiernach auszuarbeitenden gesetze aber die Beobachtung der dermalen in Wirksamkeit bestehenden Gesetze angeordnet wird
(Silvesterpatent").

I. Abschnitt.
Von dem Reiche

§ 1. Das Kaiserthum Oesterreich besteht aus folgenden Kronländern:

Dem Erzherzogthume Oesterreich ob und unter der Enns, dem Herzogthume Salzburg, dem Herzogthume Steiermark, dem Königreiche Illirien, bestehend: aus dem Herzogthume Kärnthen, dem Herzogthume Krain, der gefürsteten Grafschaft Görz und Gradiska, der Markgrafschaft Istrien und der Stadt Triest mit ihrem Gebiete, - der gefürsteten Grafschaft Tirol und Vorarlberg, dem Königreiche Böhmen, der Markgrafschaft Mähren, dem Herzogthume Ober- und Niederschlesien, den Königreichen Galizien und Lodomerien mit den Herzogthümern Auschwitz und Zator und dem Großherzogthume Krakau, dem Herzogthume Bukowina, den Königreichen Dalmatien, Kroatien und Slavonien mit dem kroatischen Küstenlande, der Stadt Fiume und dem dazu gehörigen Gebiete. dem Königreiche Ungarn, dem Großfürstenthume Siebenbürgen mit Inbegriff des Sachsenlandes und der wieder einverleibten Gespanschaften Krászna, Mittel-Szolnok und Zárand, dann dem Distrikte Kövar und der Stadt Ziláh (Zillenmarkt), den Militärgrenzgebieten und dem lombardisch-venetianischen Königreiche.

§ 2. Diese Kronländer bilden die freie, selbstständige, untheilbare und unauflösbare konstitutionelle österreichische Erbmonarchie.

§ 3. Wien ist die Hauptstadt des Kaiserreiches und der Sitz der Reichsgewalt.

§ 4. Den einzelnen Kronländern wird ihre Selbständigkeit innerhalb jener Beschränkungen gewährleistet, welche diese Reichsverfassung feststellt.

§ 5. Alle Volksstämme sind gleichberechtigt, und jeder Volksstamm hat ein unverletzliches Recht auf Wahrung und Pflege seiner Nationalität und Sprache.

§ 6. Die Gränzen des Reiches und der einzelnen Kronländer dürfen nur durch ein Gesetz verändert werden.

§ 7. Das ganze Reich ist ein Zoll- und Handelsgebiet. Binnenzölle dürfen unter keinem Titel eingeführt werden, und wo solche zwischen einzelnen Gebietstheilen des Reiches gegenwärtig bestehen, hat deren Aufhebung so bald als möglich zu erfolgen. Die Aussonderung einzelner Orte oder Gebietstheile aus dem Zollgebiete und der Einschluß fremder Gebiete in dasselbe bleibt der Reichsgewalt vorbehalten.

§ 8. Die Wappen und Farben des Kaiserthum und der einzelnen Kronländer werden beibehalten.

II. Abschnitt.
Von dem Kaiser.

§ 9. Die Krone des Reiches und jedes einzelnen Kronlandes ist in Gemäßheit der pragmatischen Sanction und der österreichischen Hausordnung erblich in dem Hause Habsburg-Lothringen.

§ 10. Die Bestimmungen der Hausgesetze über die Großjährigkeit des Thronfolgers, dann über die Einsetzung einer Vormundschaft oder Regentschaft bleiben in Wirksamkeit.

§ 11. Der Kaiser nimmt zu seinem bisherigen Titel noch jenen eines Großherzogs von Krakau und eines Herzogs der Bukowina an.

§ 12. Der Kaiser wird als Kaiser von Österreich gekrönt. Ein besonderes Statut wird diesfalls das Nähere bestimmen.

§ 13. Der Kaiser beschwört bei der Krönung die Verfassung. welcher Schwur von seinen Nachfolgern bei der Krönung, sowie von dem Regenten bei Antritt der Regentschaft geleistet wird.

§ 14. Der Kaiser ist geheiligt, unverletzlich und unverantwortlich.

§ 15. Der Kaiser führt den Oberbefehl über die gesamte bewaffnete Macht entweder persönlich oder durch seine Feldherren.

§ 16. Der Kaiser entscheidet über Krieg und Frieden.

§ 17. Der Kaiser empfängt und schickt Gesandte und schließt mit fremden Mächten Verträge.

Bestimmungen in solchen Verträgen, welche dem Reiche neue Lasten auflegen. bedürfen der Zustimmung des Reichstages.

§ 18. Der Kaiser verkündet die Gesetze und erläßt die bezüglichen Verordnungen.

Jede Verfügung bedarf der Gegenzeichnung eines verantwortlichen Ministers.

§ 19. Der Kaiser ernennt und entläßt die Minister, besetzt Aemter in allen Zweigen des Staatsdienstes und verleiht den Adel, Orden und Auszeichnungen.

§ 20. Im ganzen Reiche wird im Namen des Kaisers Recht gesprochen.

§ 21. Dem Kaiser gebührt das Recht der Begnadigung, der Strafmilderung und der Amnestirung, vorbehaltlich der besonderen Bestimmungen in Ansehung der Minister.

§ 22. Das Münzrecht wird im Namen des Kaisers ausgeübt.

III. Abschnitt.
Von dem Reichsbürgerrechte.

§ 23. Für alle Völker des Reiches gibt es nur ein allgemeines österreichisches Reichsbürgerrecht. Ein Reichsgesetz wird bestimmen, unter welchen Bedingungen das österreichische Reichsbürgerrecht erworben, ausgeübt und verloren wird.

§ 24. In keinem Kronlande darf zwischen seinen Angehörigen und jenen eines anderen Kronlandes ein Unterschied im bürgerlichen oder peinlichen Rechte, im Rechtsverfahren oder in der Verteilung der öffentlichen Lasten bestehen.

Die rechtskräftigen Urteile der Gerichte aller österreichischen Kronländer sind in allen solchen gleich wirksam und vollziehbar.

§ 25. Die Freizügigkeit der Person innerhalb der Reichsgränzen unterliegt keiner Beschränkung. Die Freiheit der Auswanderung ist von Staatswegen nur durch die Wehrpflicht beschränkt.

§ 26. Jede Art von Leibeigenschaft, jeder Unterthänigkeits- oder Hörigkeitsverband ist für immer aufgehoben.

Die Betretung des österreichischen Bodens oder eines österreichischen Schiffes macht jeden Sclaven frei.

§ 27. Alle österreichischen Reichsbürger sind vor dem Gesetze gleich und unterstehen einem gleichen persönlichen Gerichtsstande.

§ 28. Die öffentlichen Aemter und Staatsdienste sind für alle zu denselben Befähigten gleich zugänglich.

§ 29. Das Eigentum steht unter dem Schutze des Reiches; es kann nur aus Gründen des öffentlichen Wohles gegen Entschädigung nach Maßgabe des Gesetzes beschränkt oder entzogen werden.

§ 30. Jeder österreichische Reichsbürger kann in allen Teilen des Reiches Liegenschaften jeder Art erwerben, sowie jeden gesetzlich erlaubten Erwerbszweig ausüben.

§ 31. Die Freizügigkeit des Vermögens innerhalb der Reichsgränzen unterliegt keiner Beschränkung. Abfahrtsgelder von den in das Ausland abziehenden Vermögenschaften dürfen nur in Anwendung der Reciprocität erhoben werden.

§ 32. Jede aus dem Unterthänigkeits- oder Hörigkeitsverbande oder aus dem Titel des geteilten Eigenthums auf Liegenschaften haftende Schuldigkeit oder Leistung ist ablösbar, und es darf für die Zukunft bei Theilung des Eigenthums keine Liegenschaft mit einer unablösbaren Leistung belastet werden.

IV. Abschnitt.
Von der Gemeinde.

§ 33. Der Gemeinde werden als Grundrechte gewährleistet:
a) die Wahl ihrer Vertreter,
b) die Aufnahme neuer Mitglieder in den Gemeindeverband,
c) die selbständige Verwaltung ihrer Angelegenheiten,
d) die Veröffentlichung der Ergebnisse ihres Haushaltes und in der Regel
e) die Oeffentlichkeit der Verhandlungen ihrer Vertreter.

Die nähere Bestimmung dieser Grundrechte der Gemeinden und insbesondere die Bedingungen für die Aufnahme in den Verband einer Gemeinde enthalten die Gemeindegesetze.

§ 34. Die Einrichtung von Bezirks- und Kreisgemeinden zur Besorgung ihrer gemeinsamen inneren Angelegenheiten wird ein besonderes Gesetz bestimmen.

V. Abschnitt.
Von den Landesangelegenheiten.

§ 35. Als Landesangelegenheiten werden erklärt:

I. alle Anordnungen in Betreff
    1. der Landeskultur,
    2. der öffentlichen Bauten, welche aus Landesmitteln bestritten werden,
    3. der Wohlthätigkeitsanstalten im Lande,
    4. des Voranschlages und Rechnungslegung des Landes
        a) sowohl hinsichtlich der Landeseinnahmen aus der Verwaltung des dem Lande gehörigen Vermögens, der Besteuerung für Landeszwecke und der Benutzung des Landeskredits, als
        b) rücksichtlich der Landesausgaben, der ordentlichen wie der ausserordentlichen.

II. die näheren Anordnungen inner der Gränzen und der Reichsgesetze in Betreff
1. die Gemeindeangelegenheiten,
2. der Kirchen- und Schulangelegenheiten,
3. der Vorspannsleistung, dann der Verpflegung und Einquartierung des Heeres, endlich

III. die Anordnungen über jene Gegenstände, welche durch Reichsgesetze dem Wirkungskreise der Landesgewalt zugewiesen werden.

VI. Abschnitt.
Von den Reichsangelegenheiten.

§ 36. Als Reichsangelegenheiten werden erklärt:
a) alle das regierende Kaiserhaus und die Rechte der Krone betreffenden Angelegenheiten,
b) die völkerrechtliche Vertretung des Reiches und aller seiner Interessen, insbesondere der Abschluß von Verträgen mit fremden Staaten,
c) die Beziehungen des Staates zur Kirche,
d) das höhere Unterrichtswesen,
e) das gesamte Heerwesen zu Land und die Seemacht,
f) der Reichshaushalt einschließlich der Krongüter und Reichsdomänen, unter welchen das bisher durch die Benennungen „Staats-, Kameral- oder Fiskalgüter“ bezeichnete Vermögen verstanden wird, die Reichsbergwerke, dann die Reichsmonopole, der Reichskredit und alle Steuern und Abgaben zu Reichszwecken,
g) alle Gewerbs- und Handelsangelegenheiten einschließlich der Schiffahrt, der Zölle und Banken, des Münz- und Bergwesens und der Regelung von Maß und Gewicht,
h) die Reichsverbindungen durch Wasser- und Landstraßen, Eisenbahnen, Post und Telegraphen, überhaupt alle Reichsbauten,
i) alle die Wahrung der inneren Sicherheit des Reiches betreffenden Einrichtungen und Maßregeln, endlich
k) alle Angelegenheiten, welche nicht durch die Reichsverfassung oder Reichsgesetze als Landesangelegenheiten erklärt werden.

VII. Abschnitt.
Von der gesetzgebenden Gewalt.

§ 37. Die gesetzgebende Gewalt wird inbezug auf die Reichsangelegenheiten von dem Kaiser im Vereine mit dem Reichstage, in Ansehung der Landesangelegenheiten von dem Kaiser im Vereine mit den Landtagen ausgeübt.

VIII. Abschnitt.
Von dem Reichstage.

§ 38. Der allgemeine österreichische Reichstag soll aus zwei Häusern, dem Oberhause und dem Unterhause, bestehen und wird alljährlich im Frühjahre von dem Kaiser berufen.

§ 39. Der Reichstag versammelt sich in Wien, kann aber von dem Kaiser auch an einen andern Ort berufen werden.

§ 40. Das Oberhaus wird gebildet aus Abgeordneten, welche für jedes Kronland von dessen Landtage gewählt werden.

§ 41. Die Zahl der Abgeordneten für das Oberhaus beträgt die Hälfte der verfassungsmäßigen Zahl des Unterhauses.

Die Verteilung dieser Zahl wird durch das Wahlgesetz dergestalt bestimmt werden, daß jedes Kronland zwei Mitglieder seines Landtages als Abgeordnete zu senden hat und die übrige Zahl nach dem Verhältnisse der Bevölkerung unter alle Kronländer verteilt wird.

§ 42. Die beiden aus jedem Kronlande zum Reichstage abgeordneten Landtagsmitglieder müssen im Vollgenusse der bürgerlichen und politischen Rechte, österreichische Reichsbürger wenigstens seit fünf Jahren und mindestens vierzig Jahre alt sein.

Die anderen Mitglieder des Oberhauses können von den Landtagen nur aus jenen Reichsbürgern gewählt werden, welche die vorstehenden allgemeinen persönlichen Eigenschaften besitzemi und im Reiche wenigstens fünfhundert Gulden Konventionsmünze an direkter Steuer bezahlen.

In den Kronländern, wo die Zahl solcher Reichsbürger, welche fünfhundert Gulden Konventionsmünze direkte Steuer bezahlen, nicht das Verhältnis von eins auf sechstausend Seelen erreicht, wird sie durch die der Besteuerung nach zunächst folgenden Reichsbürger des Kronlandes bis zu diesem Verhältnisse vollzählig gemacht.

§ 43. Das Unterhaus wird durch direkte Volkswahl gebildet.

Wahlberechtigt ist jeder österreichische Reichsbürger, welcher großjährig, im Vollgenusse der bürgerlichen und politischen Rechte ist, und welcher entweder den durch das Wahlgesetz bestimmten Jahresbetrag an direkter Steuer bezahlt oder ohne Zahlung einer direkten Steuer nach seiner persönlichen Eigenschaft in einer Gemeinde eines österreichischen Kronlandes das aktive Wahlrecht besitzt.

§ 44. Die Wahlen für das Unterhaus geschehen nach den Bezirken und an den Orten. welche das Wahlgesetz bestimmt; dasselbe setzt auch die Zahl der Abgeordneten nach der Bevölkerung fest. Diese Zahl ist dergestalt zu bestimmen, daß auf je einhunderttausend Seelen wenigstens ein Abgeordneter entfällt.

Das Wahlgesetz wird den in dem vorstehenden Paragraph erwähnten Jahresbetrag der direkten Steuer in jedem Kronlande mit Beachtung der eigentümlichen Verhältnisse desselben festsetzen und dabei als Grundsatz festhalten, daß derselbe für das Land und für die Städte bis zehntausend Seelen nicht unter fünf Gulden Konventionsmünze und für Städte über zehntausend Seelen nicht nter zehn Gulden Konventionsmünze betragen und in keinem Falle höher als mit zwanzig Gulden Konventionsmünze bestimmt werden darf.

§ 45. Um in das Unterhaus gewählt werden zu können, muß man selbst wahlberechtigt, im Vollgenusse der bürgerlichen und politischen Rechte, österreichischer Reichsbürger wenigstens seit fünf Jahren und mindestens 30 Jahre alt sein.

§ 46. Jede Stimmgebung bei den Wahlen zum Ober- und Unterhause ist mündlich und öffentlich.

§ 47. Gewählten, welche ein öffentliches Amt bekleiden, darf der Urlaub nicht versagt werden.

§ 48. Nimmt ein Mitglied des Reichstages ein besoldetes Staatsamt an. so muß es sich einer neuen Wahl unterziehen.

§ 49. Die Mitglieder des Oberhauses werden auf die Dauer von zehn, jene des Unterhauses auf die Dauer von fünf auf eineinander folgenden Jahren gewählt. Sie sind nach Ablauf ihres Mandats wieder wählbar.

§ 50. Die Mitglieder des Oberhauses empfangen keine Entschädigung, jene des Unterhauses erhalten für jede Session eine Entschädigungspauschale.

§ 51. Niemand kann zugleich Mitglied des Oberhauses und des Unterhauses sein.

§ 52. Von jedem Mitgliede des Reichstages wird bei dem Eintritte in denselben der Eid dem Kaiser und auf die Reichsverfassung geleistet.

§ 53. Die Abgeordneten dürfen keine Instruktionen annehmen und nur persönlich ihr Stimmrecht ausüben.

§ 54. Jedem Hause des Reichstags steht das Recht zu, die Wahlmandate seiner Mitglieder zu prüfen und über deren Zulassung zu entscheiden.

§ 55. Jedes Haus ernennt durch absolute Stimmenmehrheit seinen Präsidenten und seine Vizepräsidenten für die Dauer der Session.

§ 56. Kein Haus kann einen Beschluß fassen, wenn nicht die Mehrheit der verfassungsmässigen Zahl seiner Mitglieder versammelt ist.

§ 57. Geheime Stimmgebung - mit Ausnahme der vorzunehmenden Wahlen - findet in keinem Hause statt.

§ 58. Ein Beschluß kann nur durch absolute Stimmenmehrheit zustande kommen. Bei Stimmengleichheit ist der in Beratung gezogene Antrag als verworfen anzusehen.

§ 59. Die Reichstagssitzungen sind öffentlich, doch hat jedes Haus das Recht, über den von dem Präsidenten oder von wenigstens zehn Mitgliedern gestellten Antrag vertrauliche Sitzungen zu halten.

§ 60. Nur Reichstagsmitglieder können in dem Hause, welchem sie angehören, Bittschriften einbringen.

§ 61. Deputationen dürfen auf dem Reichstage nicht zugelassen werden.

§ 62. Kein Mitglied des Reichstages darf außerhalb des Reichstages wegen Aeußerungen in den Sitzungen zur Rechenschaft gezogen noch auch gerichtlich verfolgt werden.

§ 63. Ein Mitglied des Reichstages darf, solange derselbe versammelt ist, nur mit Genehmigung des Hauses, welchem dasselbe angehört. verhaftet oder verfolgt werden, mit Ausnahme der Ergreifung auf frischer That.

§ 64. Jedes Haus hat seine Geschäftsordnung innerhalb der durch diese Verfassung bestimmten Grundsätze selbst festzustellen. Die geschäftlichen Beziehungen des Ober- und Unterhauses zu einander werden durch eine Uebereinkunft der beiden Häuser geregelt.

§ 65. Dem Kaiser sowie jedem der beiden Häuser steht das Recht zu, Gesetze vorzuschlagen.

§ 66. Die Uebereinstimmung des Kaisers und der beiden Häuser des Reichstages ist zu jedem Gesetze erforderlich. Anträge auf Erlassung von Gesetzen, welche durch eines der beiden Häuser oder durch den Kaiser abgelehnt worden sind, können in derselben Session nicht wieder vorgebracht werden.

§ 67. Dem Reichstage steht die Teilnahme an der Gesetzgebung über jene Angelegenheiten zu, welche in dieser Reichsverfassung als Reichsangelegenheiten bezeichnet sind.

§ 68. An der Gesetzgebung über die Reichsangelegenheiten nehmen die Abgeordneten aus allen Kronländern Theil. Diese gemeinsame Theilnahme findet auch rücksichtlich der Gesetzgebung über das bürgerliche Recht, das Strafrecht, die Gerichtsverfassung und das Gerichtsverfahren statt.

In soferne aber in Ungarn, Siebenbürgen, Kroatien und Slavonien samt dem kroatischen Küstenlande und Fiumne für die eben angeführten Zweige der Gesetzgebung eigene, von jener für die übrigen Kronländer abweichende gesetzliche Normen und Einrichtungen bestehen, wird für diesen Teil der Gesetzgebung die Wirksamkeit der Landtage der zuerst ernannten Kronländer aufrecht erhalten.

Es wird jedoch eine Aufgabe der Landtage dieser Kronländer sein, die bisherige Gesetzbung in den erwähnten Zweigen einer Revision zu unterziehen, um baldigst die wünschenswerte Uebereinstimnmung der Gesetzgebung in allen Teilen des Reiches herbeizuführen.

Bis dieses erfolgt, haben die Abgeordneten desjenigen Kronlandes, in welchem eine von den übrigen Kronländern verschiedene Gesetzgebung in den genannten Zweigen besteht, sich der Teilnahme an den Verhandlungen hierüber am Reichstage zu enthalten.

§ 69. Der Kaiser vertagt und schließt den Reichstag, kann auch zu jeder Zeit die Auflösung des ganzen Reichstages oder eines seiner Häuser anordnen.

Wird der Reichstag vertagt oder auch nur eines der Häuser aufgelöst. so sind die Sitzungen in beiden Häusern alsogleich einzustellen.

Die Wiederberufung des Reichstages muß im Falle der Auflösung innerhalb drei Monaten nach derselben erfolgen.

IX. Abschnitt.
Von den Landesverfassungen und den Landtagen.

§ 70. Die im § 1 aufgeführten Kronländer werden in den Angelegenheiten, welche die Reichsverfassung oder die Reichsgesetze als Landesangelegenheiten erklären, von den Landtagen vertreten.

§ 71. Die Verfassung des Königreichs Ungarn wird insoweit aufrecht erhalten, daß die Bestimmungen. welche mit dieser Reichsverfassung nicht im Einklange stehen, außer Wirksamkeit treten, und daß die Gleichberechtigung aller Nationalitäten und landesüblichen Sprachen in allen Verhältnissen des öffentlichen und bürgerlichen Lebens durch geeignete Institutionen gewährleistet wird. Ein besonderes Statut wird diese Verhältnisse regeln.

§ 72. Der Woidwodschaft Serbien werden solche Einrichtungen zugesichert, welche sich zur Wahrung ihrer Kirchengemeinschaft und Nationalität auf ältere Freiheitsbriefe und kaiserliche Erklärungen der neuesten Zeit stützen.

Die Vereinigung der Woiwodschaft mit einem anderen Kronlande wird nach Einvernehmung der Abgeordneten derselben durch Eine besondere Verfügung festgestellt werden.

§ 73. In den Königreichen Kroatien und Slavonien mit Einschluß des dazu gehörigen Küstenlandes, dann der Stadt Fiume und dem dazu gehörigen Gebiete werden deren eigenthümliche Institutionen innerhalb des durch diese Reichsverfassung festgestellten Verbandes dieser Länder mit dem Reiche in völliger Unabhängigkeit derselben von dem Königreiche Ungarn aufrecht erhalten. Abgeordnete aus Dalmatien werden mit der Landeskongregation dieser Königreiche unter Vermittlung der vollziehenden Reichsgewalt über den Anschluß und die Bedingungen desselben verhandeln und das Ergebnis der Sanktion des Kaisers unterziehen.

siehe hierzu das Kaiserliche Patent vom 7. April 1850, ein Grundgesetz über die Stellung Kroatiens, Slavoniens, des kroatischen Küstenlandes und der Stadt Fiume.

§ 74. Die innere Gestaltung und Verfassung des Großfürstentums Siebenbürgen wird nach dem Grundsatze der völligen Unabhängigkeit von dem Königreiche Ungarn und der Gleichberechtigung aller das Land bewohnenden Nationen im Einklange mit dieser Reichsverfassung durch ein neues Landesstatut festgestellt werden.

Die Rechte der sächsischen Nation werden innerhalb dieser Reichsverfassung aufrecht erhalten.

§ 75. Das zum Schutze der Integrität des Reiches bestehende Institut der Militärgränze wird in seiner militärischen Organisation aufrecht erhalten und bleibt als ein integrierender Bestandteil des Reichsheeres der vollziehenden Reichsgewalt unterstellt. Ein eigenes Statut wird den Bewohnern der Militärgränze in Bezug auf ihre Besitzverhältnisse dieselben Erleichterungen gewährleisten. welche den Angehörigen der übrigen Kronländer erteilt wurden.

siehe hierzu das Kaiserliche Patent vom 7. Mai 1850, das Grundgesetz über die Militärgrenze betreffend.

§ 76. Ein besonderes Statut wird die Verfassung des lombardisch-venetianischen Königreiches und das Verhältnis dieses Kronlandes zum Reiche feststellen.

siehe hierzu den Kaiserlichen Erlaß vom 25. Oktober 1849, R.G.Bl. 808 über die Grundzüge der Organisation der Zivilverwaltung im lombardo-venetianischen Königreich vom 25. Oktober 1849.

§ 77. Alle übrigen Kronländer erhalten eigene Landesverfassungen.

Die ständischen Verfassungen treten ausser Wirksamkeit.

siehe hierzu die Landesverfassungen nebst Landtagswahlordnungen für Niederösterreich R.G.Bl. 1/1850, für Oberösterreich R.G.Bl. 2/1850, für Salzburg R.G.Bl. 3/1850, für Kärnten R.G.Bl. 8/1850, für Krain R.G.Bl. 9/1850, für Schlesien R.G.Bl. 11/1850, für Steiermark R.G.Bl. 12/1850, für Mähren R.G.Bl. 18/1850, für Böhmen R.G.Bl. 21/1850, für Tirol und Vorarlberg R.G.Bl. 22/1850, für Görz, Gradiska und Istrien R.G.Bl. 26/1850, für die reichsunmittelbare Stadt Triest R.G.Bl. 139/1850, für Galizien R.G.Bl. 386/1850 und für Bukowina R.G.Bl. 387/1850.

§ 78. Die Zusammensetzung der Landtage hat mit Beachtung aller Landesinteressen zu geschehen. Die Abgeordneten zu denselben werden durch direkte Wahl berufen.

§ 79. Die zum Wirkungskreise der Landesvertretung gehörigen Befugnisse werden entweder durch die Landtage selbst oder durch die von ihnen gewählten Landesausschüsse geübt.

§ 80. Jedem Landtage wird das Recht der Teilnahme an der Gesetzgebung in Landesangelegenheiten und des Gesetzesvorschlages, sowie das Recht, die Ausführung der Landesgesetze zu überwachen, gewährleistet.

Die Uebereinstimmung des Kaisers und des Landtages ist zu jedem Landesgesetze erforderlich.

§ 81. Abänderungen der Landesverfassungen sollen in den Landtagen. welche zuerst werden berufen werden, im gewöhnlichen Wege der Gesetzgebung beantragt werden können. In den folgenden Landtagen soll zu einem Beschlusse über solche Abänderungen die Gegenwart von mindestens drei Vierteilen aller Abgeordneten und die Zustimmung von mindestens zwei Dritteilen der Anwesenden erforderlich sein.

§ 82. Die näheren Bestimmungen über die Bildung und den Wirkungskreis der Landtage und Landesausschüsse werden die Landesverfassungen und Wahlgesetze dieser Kronländer feststellen.

§ 83. Alle Verfassungen der einzelnen Kronländer, welche das Reich bilden, sollen im Laufe des Jahres 1849 in Wirksamkeit treten und müssen den ersten allgemeinen österreichischen Reichstage vorgelegt werden, welcher nach deren Einführung sofort berufen wird.

X. Abschnitt.
Von der vollziehenden Gewalt.

§ 84. Die vollziehende Gewalt im ganzen Reiche und in allen Kronländern ist eine und unteilbare. Sie steht ausschließend dem Kaiser zu, der sie durch verantwortliche Minister und die denselben untergeordneten Beamten und Bestellten ausübt.

§ 85. Wird einer Körperschaft oder wem immer ein Theil der vollziehenden Gewalt übertragen, so kann dieses nur widerruflich stattfinden, und die Krone ist stets berechtigt, für die Ausübung des übertragenen Teiles der vollziehenden Gewalt eine andere Vorkehrung zu treffen.

§ 86. Die Vollziehung und Handhabung der Landesgesetze, sowie die Ausführung der von den Landtagsausschüssen innerhalb ihres verfassungsmäßigen Wirkungskreises erlassenen Entscheidungen steht der vollziehenden Gewalt zu.

§ 87. Wenn der Reichstag oder der Landtag nicht versammelt ist, und dringende, in den Gesetzen nicht vorhergesehene Maßregeln mit Gefahr auf dem Verzuge für das Reich oder für ein Kronland erforderlich sind, so ist der Kaiser berechtiget, die nötigen Verfügungen unter Verantwortlichkeit des Ministeriums mit provisorischer Gesetzeskraft zu treffen, jedoch mit der Verpflichtung, darüber dem Reichs- oder beziehungsweise Landtage die Gründe und Erfolge darzulegen.

§ 88. Die Minister haben die Verwaltung im Reiche und in den einzelnen Kronländern zu leiten, die bezüglichen Verordnungen zu erlassen und die Handhabung der Reichs- und Landesgesetze zu überwachen.

§ 89. Den Ministern steht es zu, unter ihrer Verantwortung in jenen Angelegenheiten, welche den Gemeinden oder den Landtagen und deren Organen zur selbständigen Entscheidung überlassen sind, die Ausführung von Verwaltungsmaßregeln, welche den Gesetzen und dem Gesamtwohle entgegen sind, einzustellen oder zu untersagen.

§ 90. Die Minister haben das Recht, im Reichstage zu erscheinen und jederzeit das Wort zu nehmen; sie können auch für bestimmte Verhandlungen sich durch abgeordnete Kommissäre vertreten lassen.

An den Abstimmungen des Reichstages nehmen sie nur theil, wenn sie Mitglieder desselben sind.

§ 91. Über die Verantwortlichkeit der Minister, über das gerichtliche Verfahren gegen dieselben, dann über deren Bestrafung im Falle der Verurtheilung wird ein besonderes Gesetz bestimmen.

§ 92. Für die einzelnen Kronländer ernennt der Kaiser Statthalter, welche als Organe der vollziehenden Gewalt die Handhabung der Reichs- und Landesgesetze zu überwachen und die Leitung der inneren Angelegenheiten in dem Umfange ihres amtlichen Gebietes zu besorgen berufen und verpflichtet sind.

§ 93. Die Statthalter haben das Recht, in den Landtagen selbst oder durch ihre abgeordneten Kommissäre zu erscheinen und jederzeit das Wort zu nehmen.

An den Abstimmungen der Landtage nehmen sie nur teil, wenn sie Mitglieder derselben sind.

§ 94. Die Statthalter sind in ihrer Geschäftsführung dafür verantwortlich, daß die Reichsgesetze und die Gesetze des betreffenden Kronlandes genau beobachtet und gehandhabt werden.

§ 95. Die vollziehende Reichsgewalt kann die Statthalter und alle Behörden der einzelnen Kronländer auch mit der Besorgung der Reichsangelegenheiten beauftragen oder solche durch andere Organe in allen Theilen des Reiches verwalten lassen.

XI Abschnitt.
Von dem Reichsrate.

§ 96. An die Seite der Krone und der vollziehenden Reichsgewalt wird ein Reichsrat eingesetzt, dessen Bestimmung ein beratender Einfluß auf alle jene Angelegenheiten sein soll, worüber er von der vollziehenden Reichsgewalt um sein Gutachten angegangen wird.

§ 97. Die Mitglieder des Reichsrates werden von dem Kaiser ernannt; bei deren Ernennung ist auf die verschiedenen Teile des Reiches mögliche Rücksicht zu nehmen.

§ 98. Ein besonderes Gesetz wird die Einrichtung und den Wirkungskreis des Reichsrates regeln.

XII. Abschnitt.
Von der richterlichen Gewalt.

§ 99. Die richterliche Gewalt wird selbständig von den Gerichten geübt.

§ 100. Alle Gerichtsbarkeit geht vom Reiche aus. Es sollen in Hinkunft keine Patrimonialgerichte bestehen.

§ 101. Kein vom Staate bestelltet Richter darf nach seiner definitiven Bestellung außer durch richterlichen Spruch von seinem Amte zeitweilig entfernt oder entlassen noch auch ohne sein Ansuchen an einen anderen Dienstort überwiesen oder in den Ruhestand versetzt werden.

Diese letztere Bestimmung findet jedoch auf Versetzungen in den Ruhestand. welche wegen eingetretener Dienstesuntauglichkeit nach den Vorschriften des Gesetzes erfolgen, sowie auf jene Veränderungen im Richterpersonale, welche durch Aenderung in der Einrichtung der Gerichte notwendig werden, keine Anwendung.

§ 102. Rechtspflege und Verwaltung sollen getrennt und von einander unabhängig gestellt werden. Ueber Competenz-Conflikte zwischen den Verwaltungs- und Gerichtsbehörden entscheidet die durch das Gesetz zu bestimmende Behörde.

§ 103. Das Gerichtsverfahren soll in der Regel öffentlich und mündlich sein.

Die Ausnahmen von der Oeffentlichkeit bestimmt im Interesse der Ordnung und Sittlichkeit das Gesetz.

In Strafsachen soll der Anklageprozeß gelten, Schwurgerichte sollen in allen schweren Verbrechen, welche das Gesetz näher bezeichnen wird, dann bei politischen und Preßvergehen erkennen.

§ 104. Die Durchführung der vorgedachten allgemeinen Grundsätze, nach welchen in Hinkunft die Rechtspflege eingerichtet und das Richteramt ausgeübt werden soll, sowie deren Einführung in den einzelnen Kronländern unter Beachtung der eigentümlichen Verhältnisse derselben bleibt besonderen Reichs- und beziehungsweise (§  68) Landesgesetzen vorbehalten.

§ 105. Die Bestimmungen der Hausgesetze über den Gerichtsstand der Glieder des kaiserlichen Hauses bleiben aufrecht.

XIII. Abschnitt.
Von dem Reichsgerichte.

§ 106. Es soll ein oberstes Reichsgericht eingesetzt werden, welches von Amtswegen oder auf geführte Klage in folgenden Fällen einzuschreiten haben wird:

I. als Schiedsgericht: bei Streitfragen zwischen dem Reiche und den einzelnen Kronländern oder zwischen einzelnen Kronländern unter sich, insoferne der Gegenstand nicht in den Bereich der gesetzgebenden Reichsgewalt gehört;

II. als oberste Instanz: bei Verletzungen der politischen Rechte;

III. als untersuchende und oberste richtende Behörde:
    a) bei Anklagen gegen die Minister und Statthalter, dann
    b) bei Verschwörungen und Attentaten gegen den Monarchen oder Regenten und in Fällen von Hoch- und Landesverrath.

§ 107. Der Sitz des Reichsgerichtes ist in Wien, und es wird durch ein besonderes Gesetz bestimmt, wie die Bestellung der Richter mit Rücksicht auf die einzelnen Kronländer stattfinden, wie groß die Zahl derselben und wie das Verfahren des Gerichtes sein soll.

XIV. Abschnitt.
Von dem Reichshaushalte.

§ 108. Alle Steuern und Abgaben für Reichs- und Landeszwecke werden durch Gesetze bestimmt.

§ 109. Alle Einnahmen und Ausgaben des Reiches müssen jährlich in einem Voranschlage ersichtlich gemacht werden, welcher durch ein Gesetz festgestellt wird.

Allfällige Überschreitungen des Voranschlages sind der nachträglichen Anerkennung von Seite des Reichstages zu unterziehen.

§ 110. Die Staatsschuld ist vom Reiche gewährleistet.

§ 111. Die allgemeine Rechnung über den Reichshaushalt jeden Jahres wird nebst einer Uebersicht der Staatsschulden von dem obersten Rechnungshofe dem Reichstage vorgelegt.

§ 112. Ein besonderes Gesetz wird die Einrichtungen und Befugnisse des obersten Rechnungshofes feststellen.

XV. Abschnitt.
Von der bewaffneten Macht.

§ 113. Die bewaffnete Macht ist bestimmt, das Reich gegen äußere Feinde zu verteidigen und im Innern die Aufrechthaltung der Ordnung und die Ausführung der Gesetze zu sichern.

§ 114. Im Innern kann zu diesen Zwecken die bewaffnete Macht nur über Aufforderung der Civilbehörden und in den gesetzlich bestimmten Fällen und Formen einschreiten.

§ 115. Die bewaffnete Macht ist wesentlich gehorchend.

Kein Teil derselben darf gemeinsam beraten.

§ 116. Das Gesetz bestimmt den Umfang und die Art der allgemeinen Wehrpflicht zum Landheere und zum Dienste auf der See.

§ 117. Das Heer steht unter der Militärgerichtsbarkeit und dem Militärgesetze.

Die Disziplinarvorschriften für das Land- und Seeheer bleiben in voller Anwendung.

§ 118. Der Eid des Heeres auf die Reichsverfassung wird in den Fahneneid aufgenommen.

§ 119. Die Einrichtung der Bürgerwelir wird durch ein besonderes Gesetz geregelt.

XVI. Abschnitt.
Allgemeine Bestimmungen.

§ 120. In so lange die durch diese Reichsverfassung bedingten organischen Gesetze nicht im verfassungsmäßigen Wege zustande gekommen sind, werden die entsprechenden Verfügungen im Verordnungswege erlassen.

§ 121. Bis die neuen Gesetze und Verordnungen in Wirksamkeit treten, bleiben die bestehenden in kraft.

Die bestehenden Steuern und Abgaben werden fort erhoben, bis neue Gesetze abweichend bestimmen und zur Anwendung kommen.

§ 122. Die Behörden bleiben bis zur Ausführung der sie betreffenden neuen organischen Gesetze und Verordnungen in ihrer Wirksamkeit.

§ 123. Aenderungen dieser Reichsverfassung können im ersten Reichstage im gewöhnlichen Wege der Gesetzgebung beantragt werden. In den folgenden Reichstagen ist zu einem Beschlusse über solche Abänderungen in beiden Häusern die Gegenwart von mindestens drei Viertheilen aller Mitglieder und die Zustimmung von mindestens zwei Drittheilen der Anwesenden erforderlich.

    So gegeben in Unserer königlichen Hauptstadt Olmütz den vierten März im Jahre des Heils eintausendachthundertneunundvierzig, Unserer Reiche im ersten.

Franz Joseph.

Schwarzenberg.
Stadion.
Krauss.
Bach.
Corden.
Bruck.
Thinnfeld.
Kulmer.
 

Die vorstehende Verfassung samt Grundrechtspatent ist zwar offiziell kundgemacht worden, doch hat der Kaiser weder eine Wahl zu einem verfassungsmäßigen Reichstage ausgeschrieben noch sonst (außer der Errichtung des Reichsrates) die Verfassung in Wirksamkeit treten lassen; er hat vielmehr durch das Patent vom 31. Dezember 1851 ("Silvesterpatent") die Verfassung offiziell wieder aufgehoben und ist damit zum Absolutismus zurückgekehrt. Dem Silvesterpatent war ein "Allerhöchstes Cabinetschreiben" angehängt, mit welchem der Kaiser die "Grundsätze für organische Einrichtungen in den Kronländern des österreichischen Kaiserstaates" festlegte.

Das Grundrechtspatent wurde teilweise wörtlich in das Staatsgrundgesetz vom 21. Dezember 1867, über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger für die im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder übernommen.
 


Quellen: W. Altmann, Ausgewählte Urkunden zur deutschen Verfassungsgeschichte seit 1806, Berlin, R.Gaertners Verlagsbuchhandlung
Fischer / Silvestri, Texte zur österreichischen Verfassungs-Geschichte, Geyer-Edition 1970
© 29. Dezember  2001 - 24. Juli 2012
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