Manifest

Wir Franz Joseph der Erste,
von Gottes Gnaden Kaiser von Österreich.
König von Hungarn und Böhmen ect.

Als vor nahe einem Jahre Unser durchlauchtigster Herr Vorgänger im Reiche. Kaiser Ferdinand der Erste, dem allgemeinen Wunsche nach zeitgemässen politischen Verbesserungen durch die Verheissung freier Institutionen bereitwillig entgegenkam, verbreiteten sich im ganzen Reiche die Gefühle der Dankbarkeit und freudiger Erwartung. Aber nur wenig entsprachen die spätern Erlebnisse so gerechter Hoffnung. Der Zustand, in welchem sich heute das Vaterland be-findet, erfüllt Unser Herz mit tiefer Betrübnis. Der innere Friede ist von ihm gewichen. Verarmung bedroht die einst so gesegneten Lande. In der Haupt- und Residenzstadt Wien erheischen die Umtriebe einzelner Übelwollender noch immer zu Unserem grossen Leidwesen und unerachtet der trefflichen Gesinnung der überwiegenden Mehrzahl ihrer Bewohner die Aufrechthaltung des Ausnahmszustandes. Bürgerkrieg verheert einen Teil Unseres Königreiches Ungarn. In einem anderen Kronlande hindert der Kriegszustand die Einführung geordneter Verhältnisse, und, wo die äußerliche Ruhe auch nicht gestört ist, wirbt um Anhang, im Finstern schleichend. der Geist des Misstrauens und der Zwietracht.

So betrübend sind die Wirkungen, nicht der Freiheit. aber des mit ihr getriebenen Mißbrauches. Diesem Mißbrauche zu steuern, die Revolution zu schließen, ist Unsere Pflicht und Unser Wille.

In dem Manifeste vom 2. Dezember hatten Wir die Hoffnung ausgesprochen, dass es Uns mit Gottes Beistand und im Einverständnisse mit den Völkern gelingen werde. alle Lande und Stämme der Monarchie zu einem grossen Staatskörper zu vereinigen. Allenthalben in Unserem weiten Reiche fanden diese Worte freudigen Anklang, denn sie waren der Ausdruck eines längst gefühlten, jetzt zum allgemeinen Bewusstsein gelangten Bedürfnisses. In der Wiedergeburt der Gesamtmonarchie, in der engeren Verbindung ihrer Bestandteile erkennt der gesunde Sinn des Volkes die erste Bedingung für die Wiederkehr der gestörten Ordnung und des entwichenen Wohlstandes. sowie die sicherste Bürgschaft für eine gesegnete und glorreiche Zukunft.

Mittlerweile beriet zu Kremsier der von Kaiser Ferdinand dem Ersten berufene Reichstag eine Verfassung für einen Teil der Monarchie. Wir beschlossen - mit Hinblick auf die von ihm während des Oktobers eingenommene, mit der Unserem Hause schuldigen Treue wenig vereinbare Stellung - allerdings nicht ohne Bedenken. ihn mit der Fortführung jenes grossen Werkes betraut zu lassen. Wir gaben Uns dabei der Hoffnung hin. dass diese Versammlung. die gegebenen Verhältnisse des Reiches im Auge haltend, die ihr übertragene Aufgabe ehebaldigst zu einem gedeihlichen Ergebnisse führen werde.

Leider ist diese Unsere Erwartung nicht in Erfüllung gegangen.

Nach mehrmonatlicher Verhandlung ist das Verfassungswerk zu keinen Abschlusse gediehen. Erörterungen aus dem Gebiete der Theorie, welche nicht nur mit den thatsächlichen Verhältnissen der Monarchie im entschiedenen Widerspruche stehen, sondern überhaupt der Begründung eines geordneten Rechtszustandes im Staate entgegentreten, haben die Wiederkehr der Ruhe, der Gesetzlichkeit und des öffentlichen Vertrauens in die Ferne gerückt, in den wohlgesinnten Staatsbürgern trübe Befürchtungen erzeugt und der durch Gewalt der Waffen zu Wien eben erst geschlagenen, in einem andern Teile Unseres Reiches noch nicht gänzlich besiegten Partei des Umsturzes neuen Mut und neue Thätigkeit verliehen. Dadurch ward auch die Hoffnung wesentlich erschüttert, dass dieser Versammlung trotz der höchst achtbaren Elemente, die sie enthält, die Lösung ihrer Aufgabe gelingen werde.

Inzwischen ist durch die siegreichen Fortschritte Unserer Waffen in Ungarn das große Werk der Wiedergeburt eines einheitlichen Österreich, das Wir Uns zu Unserer Lebensaufgabe gestellt, seiner Begründung näher gerückt und die Notwendigkeit unabweislich geworden, die Grundlagen dieses Werkes auf eine dauerhafte Weise zu sichern. Eine Verfassung, welche nicht bloss die in Kremsier vertretenen Länder, sondern das ganze Reich im Gesamtverbande umschliessen soll, ist es, was die Völker Österreichs mit gerechter Ungeduld von Uns erwarten. Hiedurch ist das Verfassungswerk über die Grenzen des Berufes dieser Versammlung hinausgetreten.

Wir haben daher beschlossen für die Gesamtheit des Reiches, Unseren Völkern diejenigen Rechte, Freiheiten und politischen Institutionen aus freier Bewegung und eigener kaiserlicher Macht zu verleihen, welche Unser erhabener Oheim und Vorfahr Kaiser Ferdinand 1. und Wir selbst ihnen zugesagt und die Wir nach Unserem besten Wissen und Gewissen als die heilsamsten und förderlichsten für das Wohl Österreichs erkannt haben. Wir verkündigen demnach unter heutigem Tage die Verfassungsurkunde für das einige und unteilbare Kaisertum Österreich, schließen hiedurch die Versammlung des Reichstags zu Kremsier,  lösen denselben auf und verordnen ‚ daß dessen Mitglieder sofort nach Veröffentlichung dieses Beschlusses auseinander gehen.

Die Einheit des ganzen mit der Selbständigkeit und freien Entwickelung seiner Teile, eine starke, das Recht und die Ordnung schützende Gewalt über das gesamte Reich mit der Freiheit des Einzelnen, der Gemeinden, der Länder Unserer Krone und der verschiedenen  Nationalitäten in Einklang zu bringen - die Begründung einer kräftigen Verwaltung, welche gleich weit von beengender Zentralisation und zersplitternder Auflösung, den edlen Kräften des Landes hinreichenden Spielraum gewährt und den Frieden nach aussen und innen zu schützen weiss, - die Schaffung eines sparsamen, die Lasten der Staatsbürger möglichst erleichternden ‚ durch Öffentlichkeit gewährleisteten Staatshaushaltes, - die vollständige Durchführung der Entlastung des Grundbesitzes gegen billige Entschädigung unter Vermittelung des Staates, die Sicherung der echten Freiheit durch das Gesetz, dies sind die Grundsätze, von welchen Wir Uns bei Verleihung der gegen-wärtigen Verfassungsurkunde leiten ließen.

Völker Österreichs! Fast allenthalben in Europa ist die bürgerliche Gesellschaft erschüttert bis in ihre Grundfesten, fast allenthalben mit Auflösung bedroht durch die rastlosen Anstrengungen einer verbrecherischen Partei. Allein so groß auch die Gefahren sind, denen Österreich, denen Europa ausgesetzt ist, Wir zweifeln nicht an einer großen, segensreichen Zukunft des Vaterlandes.

Wir vertrauen dabei auf den Beistand des allmächtigen Gottes, der Unser Kaiserhaus nie verlassen hat. Wir vertrauen auf den guten Willen und die Treue Unserer Völker, denn unter ihnen bilden die Wohlgesinnten die unermeßliche Mehrzahl. Wir vertrauen auf die Tapferkeit und Ehre Unserer ruhmwürdigen Armee.

Völker Österreichs! Schart euch um eueren Kaiser, umgeht ihn mit euerer Anhänglichkeit und thätigen Mitwirkung, und die Reichsverfassung wird kein toter Buchstabe bleiben. Sie wird zum Bollwerke werden euerer Freiheit, zur Bürgschaft für die Macht, den Glanz, die Einheit der Monarchie. Groß ist das Werk, aber gelingen wird es den „vereinten Kräften“.

    So gegeben in Unserer königlichen Hauptstadt Olmütz den vierten März im Jahre des Heils eintausendachthundertneunundvierzig, Unserer Reiche im ersten.

Franz Joseph.

Schwarzenberg. Stadion. Krauss. Bach. Cordon.
Bruck. Thinnfeld. Kulmer.

 


Quellen: Allgemeines Reichs-Gesetz- und Regierungsblatt für das Kaiserthum Österreich, Jg. 1849. S. 148 ff.
W. Altmann, Ausgewählte Urkunden zur deutschen Verfassungsgeschichte seit 1806, Berlin, R.Gaertners Verlagsbuchhandlung

Fischer / Silvestri, Texte zur österreichischen Verfassungs-Geschichte, Geyer-Edition 1970
© 29. Dezember  2001 - 23. Juli 2012
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