Kaiserliches Patent
über die durch die constitutionelle Staatsform gewährleisteten politischen Grundrechte.
(Grundrechtspatent)

vom 4. März 1849

aufgehoben durch
die Beilage III. des Kaiserlichen Patents vom 31. Dezember 1851 ("Silvesterpatent") R.G.Bl. 3/1850
 

Wir Franz Joseph der Erste,
von Gottes Gnaden Kaiser von Österreich
etc. etc.,

verordnen für die nachbenannten Kronländer des österreichischen Kaiserreiches, nämlich für das Erzherzogthum Osterreich ob und unter der Enns, das Herzogthum Salzburg, das Herzogthum Steiermark, das Königreich Illyrien, bestehend aus den Herzogthümern Kärnthen und Krain, der gefürsteten Grafschaft Görz und Gradiska, der Markgrafschaft Istrien und der Stadt Triest mit ihrem Gebiete -‚ für die gefürstete Grafschaft Tirol und Vorarlberg, das Königreich Böhmen, die Markgrafschaft Mähren, das Herzogtum Ober- und Niederschlesien, die Königreiche Galizien und Lodomerien mit den Herzogthümern Auschwitz und Zator und dem Großherzogtume Krakau, für das Herzogtum Bukowina, endlich für das Königreich Dalmatien - in Anerkennung und zum Schutze der den Bewohnern dieser Länder durch die von Uns angenommene konstitutionelle Staatsform gewährleisteten politischen Rechte über Antrag Unseres Ministerrathes wie folgt:

§ 1. Die volle Glaubensfreiheit und das Recht der häuslichen Ausübung des Religionsbekenntnisses ist jedermann gewähr-leistet. Der Genuß der bürgerlichen und politischen Rechte ist von dem Religionsbekenntnisse unabhängig, doch darf den staatsbürgerlichen Pflichten durch das Religionsbekenntnis kein Abbruch geschehen.

§ 2. Jede gesetzlich anerkannte Kirche und Religionsgesellschaft hat das Recht der gemeinsamen öffentlichen Rehigionsübung, ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig, bleibt im Besitze und Genusse der für ihre Kultus-, Unterrichts- und Wohlthätigkeitszwecke bestimmten Anstalten, Stiftungen und Fonde, ist aber wie jede Gesellschaft den allgemeinen Staatsgesetzen unterworfen.

§ 3. Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei. Unterrichts-und Erziehungsanstalten zu gründen und an solchen Unterricht zu erteilen, ist jeder Staatsbürger berechtiget, der seine Befähigung hierzu in gesetzlicher Weise nachgewiesen hat. Der häusliche Unterricht unterliegt keiner solchen Beschränkung.

§ 4. Für allgemeine Volksbildung soll durch öffentliche Anstalten, und zwar in den Landesteilen, in denen eine gemischte Bevölkerung wohnt, derart gesorgt werden, daß auch die Volksstämme, welche die Minderheit ausmachen, die erforderlichen Mittel zur Pflege ihrer Sprache und zur Ausbildung in derselben erhalten. Der Religionsunterricht in den Volksschulen wird von der betreffenden Kirche oder Religionsgesellschaft besorgt. Der Staat führt über das Unterrichts- und Erziehungswesen die Oberaufsicht.

§ 5. Jedermann hat das Recht, durch Wort. Schrift, Druck oder bildliche Darstellung seine Meinung frei zu äußern. Die Presse darf nicht unter Zensur gestellt werden. Gegen den Mißbrauch der Presse wird ein Repressivgesetz erlassen.

§ 6. Das Petitionsrecht steht jedermann zu. Petitionen unter einem Gesamtnamen dürfen nur von Behörden und gesetzlich anerkannten Körperschaften ausgehen.

§ 7. Die österreichischen Staatsbürger haben das Recht, sich zu versammeln und Vereine zu bilden, in so ferne Zweck, Mittel oder Art und Weise der Versammlung oder Vereinigung weder rechtswidrig noch staatsgefährhich sind. Die Ausübung dieses Rechtes, sowie die Bedingungen. unter welchen Gesellschaftsrechte erworben. ausgeübt oder verloren werden, bestimmt das Gesetz.

§ 8. Die Freiheit der Person ist gewährleistet. Die Verhaftung einer Person soll außer im Falle der Ergreifung auf frischer That nur in kraft eines mit Gründen versehenen Befehles geschehen, welcher von dem Richter oder von einer richterliche Funktionen gesetzlich ausübenden Behörde ergangen ist. Jeder solche Verhaftbefehl ist dem Verhafteten sogleich bei seiner Anhaltung oder spätestens vierundzwanzig Stunden nach derselben zuzustellen.

§ 9. Die Sicherheitsbehörde muß jeden, den sie in Verwahrung genommen hat, binnen achtundvierzig Stunden freilassen oder dem zuständigen Gerichte überweisen.

§ 10. Das Hausrecht ist unverletzlich. Eine Durchsuchung der Wohnung und der Papiere oder eine Beschlagnahme der letzteren ist nur in den gesetzlich bestimmten Fällen und Formen zulässig.

§ 11. Das Briefgeheimnis darf nicht verletzt, und die Beschlagnahme von Briefen nur in Kriegsfällen oder auf Grund eines richterlichen Befehles vorgenommen werden.

§ 12. Im Falle eines Krieges oder bei Unruhen im Innern können die Bestimmungen der vorstehen den §§ 5 bis einschließlich 11 zeitweilig und örtlich außer Wirksamkeit gesetzt werden.

Ein Gesetz wird das Nähere hierüber bestimmen.

§ 13. Unser Ministerrat wird beauftragt, die zur Durchführung dieser Bestimmungen bis zu dem Zustandekommen organischer Gesetze provisorisch zu erlassenden Verordnungen zu entwerfen und Uns zur Sanktion vorzulegen.

    Gegeben in Unserer königl. Hauptstadt Olmütz d. 4. März 1849.

Franz Joseph.

Schwarzenberg. Stadion. Krauss. Bach. Cordon.
Bruck. Thinnfeld. Kulmer.

 


Quellen: W. Altmann, Ausgewählte Urkunden zur deutschen Verfassungsgeschichte seit 1806, Berlin, R.Gaertners Verlagsbuchhandlung
Fischer / Silvestri, Texte zur österreichischen Verfassungs-Geschichte, Geyer-Edition 1970
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